Jiajia Zhang, Selbstportrait
Für das Monatsposter 2020 übergab die Künstlerin Jiajia Zhang dem Kunstverein St.Gallen eine Serie von Fotografien, die unterschiedliche Dinge (Stifte, Schuhe, Puppen oder Displays) zeigt. Die Serie war an Orten des ökonomischen Kreislaufs in Banken, Ladengeschäften oder Brockenhäusern fotografiert worden. In Zhangs fotografischen Arbeiten sind oft Dinge abgebildet, die modellhaft einen Ort und dessen grösseren und teils unsichtbaren Funktionsapparat repräsentieren (ökonomische, typologische oder repräsentative Modellstrukturen). Die repetitive Abbildung dieser Dinge und Orte spannt einen Bezugsraum auf, der auch die Zirkulation der Künstlerin in der Welt wiedergibt. Es ist eine kritische Hinterfragung dieser Räume – real wie virtuell – und unserer Handlungen darin.
Du hast vom Kunstverein St.Gallen den Auftrag erhalten, die Monatsposter-Serie 2020 zu gestalten. Welches Thema liegt deiner Foto-Auswahl zugrunde?
Jiajia Zhang: Die Fotografien, die ich für den Kunstverein St.Gallen ausgewählt habe, bilden alltägliche Gegenstände und Zeichen ab, die auf verschiedene Stadien des ökonomischen Kreislaufes hinweisen. Abgebildet sind Dinge in Schaufenstern, bei der Totalliquidation oder letztendlich als Müll auf der Strasse. Mich interessiert dieser Prozess von Wertschöpfung und Wertzerfall. In der Monatsposter-Serie 2020 tauchen diese nochmals im Strassenraum auf. Nicht als Werbung für ein Produkt oder eine Veranstaltung, sondern in einer Abhängigkeit zur Zeit.
Jiajia Zhang, Untitled (Bank of America), 2019
Monatsposter Januar von Jiajia Zhang im Aushang
Du bist viel auf Reisen und stellst weltweit in Institutionen aber auch in Off Spaces aus. Welchen Einfluss hat dein Unterwegssein auf deine künstlerische Arbeit?
JZ: Das Unterwegssein prägt mich seit ich mit sechs Jahren von China in die Schweiz zog. Die Weltsicht multipliziert sich mit jedem neuen Standort. Meinungen, Erscheinungen, letztendlich Realität verstehe ich nicht als etwas Starres, sondern aus jeder Perspektive immer wieder anders. Das macht die Welt auch so komplex und interessant. Auch in meiner Arbeit interessiert mich dieser Prozess von Auflösung und Neuformierung von Identität sehr. Als vor dem Lockdown das Unterwegssein noch mehr oder weniger zur Normalität gehörte, habe ich fotografisch und auch mit der Videokamera viele Fragmente der Welt gesammelt. Diese Aufnahmen sind für mich Material, mit dem ich zurzeit viel arbeite.
Jiajia Zhang, Untitled (Barney's letzte Tage), 2019
Monatsposter Mai von Jiajia Zhang im Aushang
Welchen Fokus verfolgst du in deinen Fotografien?
JZ: Meine Fotografien entstehen, wie du erwähnt hast, oft während des Unterwegsseins. Sie sind meistens Ergebnisse von Instinkt, Zufall und momentanen Gedankengängen. Obwohl ich nicht in «Serien» arbeite, gibt es Wiederholungen in Motiven, sodass man doch von seriellen Arbeiten über einen längeren Zeitraum sprechen kann. Stifte sind zum Beispiel ein wiederkehrendes Motiv, das auch in der Serie für den Kunstverein immer wieder auftaucht. Diese Bilder von Stiften wurden an Orten aufgenommen, wo der performative Akt des Unterschreibens die Einzelperson an verschiedenste Institutionen (Banken, Versicherungen, Ämter) anbindet. Ich denke auch gerne durch die Linsen anderer Disziplinen über die Fotografie nach. Im kürzlich erschienenen Buch von Moyra Davey, Index Cards habe ich einen schönen Satz gefunden: «I want to make some photographs, but I want them to take seed in words.»
Jiajia Zhang, Untitled (Trashy Guccibag), 2019
Monatsposter Juni von Jiajia Zhang im Aushang
Die Beschäftigung mit Fotografie stellt einen wichtigen Aspekt in deiner künstlerischen Arbeit dar. Du realisierst aber auch Videofilme und raumgreifende Installationen. Welche Bedeutung schreibst du dem fotografischen Bild innerhalb deines Schaffens zu?
JZ: Die Fotografie (und auch das Filmen mit der Videokamera) versetzen mich in einen Zustand der erhöhten Aufmerksamkeit. Es gibt unterschiedliche Arten des «In-der-Welt-Seins» und ich strebe eine Art unbewusstes Bewusstsein an, durch das ich Dinge erkenne, sehe, mit anderen Dingen verknüpfe und so in neue Zusammenhänge stellen kann. Beim Fotografieren und Filmen versuche ich möglichst frei zu sein. Beim Zusammenstellen des Materials sehe ich dann eine Art von Kategorisierung, Motiv, Stil etc. Dieses Vorgehen ist allerdings nicht nur mit Bildern, sondern auch mit anderen Medien wie Text, Readymades, räumlichen Anordnungen so.
Jiajia Zhang, Western Union, 2019
Monatsposter Juli von Jiajia Zhang im Aushang
Für die Ausstellung Sommer des Zögerns in der Kunsthalle Zürich hast du die Videoarbeit Untitled (Sommer des Zögerns) präsentiert – ein pointierter Zusammenschnitt deines filmischen Materials der letzten drei Jahre. Was ist die Aussage dieser Arbeit und welchen Bezug schafft sie zum Ausstellungskonzept?
JZ: Neben meinen filmischen Aufzeichnungen habe ich auch eine Sammlung an Texten. Als Quelle dienen mir Bücher, Notizen, Träume, das Internet. Aus diesen Bild- und Textfragmenten schneide ich tagebuchartige Kurzfilme zusammen, die eine Art momentanen Zustand umreissen. Diese einzelnen Fragmente können allerdings später auch wieder in anderen Arbeiten auftauchen und in neuen Zusammenhängen stehen. Während des Lockdowns wurde ich für die Ausstellung Sommer des Zögerns angefragt. Ungefähr zur gleichen Zeit fiel die letzte verbleibende Frau, Elisabeth Warren, aus dem Rennen um die amerikanische Präsidentschaft. Mir fiel damals der Satz aus einem Podcast auf: «We are left now with two white men, now what?». Davon ausgehend habe ich mit meinem Archivmaterial und den gefundenen fragmentierten Sätzen den Kurzfilm für die Kunsthalle konstruiert. Eine Art Fabel, die darauf hindeutet, dass unzählige Weltsichten und Meinungen parallel existieren. Da ich nicht explizit darauf verweise wer was sagt, ist die Betrachterin und der Betrachter stets aufgefordert, sich selbst zu positionieren. Der Film existiert im Loop, es gibt darin eine Stelle, in der es um das Narrativ und die Geschichtsschreibung geht. Eine Bildunterschrift lautet: «the narrative will be written by the winner» (dt. «Das Narrativ wird von der Gewinnerin / vom Gewinner geschrieben») und ein anderer Satz lautet: «narrative is what anybody has to say in any way about anything that can happen has happened will happen in any way» (dt. «Erzählung ist, was irgendjemand auf irgendeine Weise zu sagen hat, über alles, was passieren kann, passiert ist, auf irgendeine Weise passieren wird»). Diese zwei krass gegensätzlichen Weltanschauungen stehen sich auch sehr aktuell in der Welt gegenüber und verweisen auf die Rolle der Sprache als Machtinstrument. Wenn man bedenkt, dass der eine Satz ein Zitat von Steve Bannon ist und der zweite Satz von Gertrude Stein, sieht man auch das Spektrum, in dem sich diese Aussagen bewegen. Die Bilder hingegen zeigen meine Beobachtungen in der Welt. Die Aufnahmen gehen bis 2018 zurück. In den Bildern sieht man Gesten, Oberflächen, soziale Gruppierungen, die zwar von einem klaren Narrativ losgelöst sind – in die trotzdem viele Normen, soziale Anordnungen etc. eingeschrieben sind. Während ich mit der Kamera in der Welt möglichst unvoreingenommen Aufnahmen mache, ist der Editierprozess eine minutiöse Konstruktion am Computer. Mir gefällt dieser Gegensatz in der Arbeit. Das Ausstellungskonzept Sommer des Zögerns ist ebenfalls ohne klares Narrativ. Es fängt die Vielstimmigkeit des zeitgenössischen Kunstschaffens gut ein.
Jiajia Zhang, Untitled (Some Stuff Is Haunted Some Stuff Is Happy), 2019
Monatsposter August von Jiajia Zhang im Aushang
Neben deinem künstlerischen Schaffen agierst du auch als Kuratorin und vernetzt Kunstschaffende unterschiedlicher Arbeitsweisen und Prägungen. Was ist dein Ansporn, auch kuratorisch tätig zu sein?
JZ: Ich liebe es Kunst anzuschauen. Ich geh auch gern ins Atelier von Künstlerinnen und Künstlern und bin an ihrem Arbeitsprozess interessiert. Ich sehe mein Denken immer auch in Nachbarschaft zu anderen Positionen. Daher war es für mich immer sehr inspirierend, Ausstellungen zu planen. Kunstwerke in einem Raum zu platzieren ist vergleichbar mit dem Editierprozess. Die Dinge stehen in Relation zueinander. Man arbeitet miteinander, im Raum. Das finde ich eine gute Abwechslung zur Arbeit im Studio.
Jiajia Zhang, Essentials From Avena Gallagher's Free Sale, 2019
Monatsposter September von Jiajia Zhang im Aushang
In St.Gallen betreibst du den Kunstraum 印 (epepep). Was reizt dich an dieser ortsgebundenen Ausstellungssituation?
JZ: Der Kunstraum 印 (epepep) entstand, als ich im Otto Glaus Hochhaus in St.Gallen lebte und der Kiosk im Haus frei wurde. Der Raum war ideal, 24h von der Strasse her sichtbar. Ich lebte Vollzeit in St.Gallen und habe oft meine Freunde in New York oder in Zürich vermisst. Es war eine gute Gelegenheit in dieser häuslichen Umgebung Ausstellungen mit Leuten in aller Welt zu planen. Diese Massstabsverschiebungen haben mich immer sehr interessiert. Der Name ist doppeldeutig. Als chinesisches Zeichen für «Drucken, Signal, Stempel» und im westlichen Alphabet als EP, das für Extended Play oder Episode zu lesen ist.
Jiajia Zhang, Untitled (Display Balenciaga), 2019
Monatsposter Oktober von Jiajia Zhang im Aushang
Welche Projekte verfolgst du zurzeit?
JZ: Ich arbeite an einer Installation für das Ausstellungsprojekt Haus (Haus.wien), das Ende September in Wien stattfinden wird. Dafür bereite ich verschiedene Kurzvideos vor, die tagebuchartige Sequenzen wiedergeben. Auf verschiedenen Screens verteilt entsteht so etwas wie ein rhythmischer Einblick in gesammelte Fragmente und Gedanken. Cherish, ein Ausstellungsraum in Genf, hat mich dazu eingeladen. Kurz darauf findet eine Gruppenausstellung mit meiner Ateliergemeinschaft Chantal im Kunstraum Hamlet in Oerlikon Zürich statt. Kursorisch habe ich diesen Sommer zusammen mit Ilona Ruegg eine Mini Residency in der Villa Bellerive direkt am Zürichsee durchgeführt. Zehn Künstlerinnen und Künstler haben in dieser Zeit zusammen vor Ort neue Arbeiten entwickelt, es gab verschiedene Workshops, Vorträge, gemeinsame Essen. Diese offene Struktur, die eine temporäre Gemeinschaft zusammenbringt, mit der man Arbeiten und zusammen Zeit verbringen kann, war grossartig. Ich würde in der Zukunft gerne weitere solche Projekte durchführen.
Jiajia Zhang, Untitled (Zoll), 2019
Monatsposter November von Jiajia Zhang im Aushang
Jiajia Zhang (*1981 Hefei, China) lebt und arbeitet in St.Gallen und Zürich. Sie studierte von 2001–2008 Architektur an der ETH in Zürich und hat im Sommer 2020 das MFA (Master of Fine Arts) an der ZHDK abgeschlossen.
Interview: Nadia Veronese, Kunstverein und Kunstmuseum St.Gallen
Hier geht es zur Website von Jiajia Zhang.