Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie, Theater St.Gallen
Allein mit dem Publikum, mit nichts als dem Text und der Figur im Gepäck, ist er die Königsdisziplin für alle Schauspielerinnen und Schauspieler: der Monolog. Da kommt jede Feinheit in der Betonung, jede noch so kleine Bewegung zum Tragen. Ob Erzähltheater, psychologisch ausgefeilte Figur oder actiongeladene Performance – möglich ist vieles.
Eine Reihe solcher Soli plante das Theater St.Gallen als eigenständige Produktionen für die erste Umbau-Spielzeit im Herbst 2020. Verschiedene Regisseurinnen und Regisseure inszenierten diese mal intimen, mal explosiven Begegnungen mit einzelnen Schauspielerinnen und Schauspielern in minimalistischen Settings – für den Fokus auf Text und Figur.
Die ersten beiden Monologe zeigte das Theater St.Gallen in den Ausstellungen des Kunstmuseums St.Gallen. Wojtek Klemm inszenierte Jennifer Clements Gun Love und David Foster Wallaces Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich. Wir haben die Schauspielerin Anna Blumer zu dem Monolog und dem besonderen Setting im Kunstmuseum befragt.
Für die Monologreihe bist du in die Rolle der 14-jährigen Pearl aus Jennifer Clements Gun Love geschlüpft. Um was geht es in diesem Roman und womit beschäftigt sich deine Figur?
Im Roman erzählt Pearl von ihrer Kindheit am Rande eines Trailerparks inmitten von Florida, wo sie mit ihrer Mutter in einem alten Auto lebt. Von der Gesellschaft vergessen führt sie ein symbiotisches Dasein mit ihrer Mutter, die Pearl bewundert und verehrt. Pearls Welt ist, bei aller Armut, in Ordnung, bis plötzlich ein Cowboy aus Texas im Trailerpark auftaucht und mit Pearls Mutter eine Beziehung anfängt. Pearl muss zusehen, wie der neue Freund ihren Platz einnimmt und die Mutter mehr und mehr von sich abhängig macht, zudem tauchen auf dem Trailerpark immer mehr Waffen auf. Als Pearls Mutter von einem jungen Mann erschossen wird, beginnt für Pearl ein schmerzhafter Prozess des Erwachsenwerdens und führt sie ins Herz des Waffenschmuggels.
Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie, Theater St.Gallen
Wie hast du dich für die Rolle der Pearl und das Schauspiel im Kunstmuseum vorbereitet?
Gemeinsam mit dem Regisseur Wojtek Klemm haben wir den Roman durchkämmt, um die Schlüsselstellen herauszufiltern. Das Buch hat grossartige, naive und zugleich fantastische Beschreibungen aus der Sicht dieses jungen Mädchens, die die Poesie des Romans ausmachen. Wir mussten entscheiden, was wir der Schönheit halber drinnen lassen und was, der Stringenz der Geschichte dienend, gestrichen werden muss. Bei dieser Arbeit lernt man einen Text, die Figur und ihre Erzählweise sehr gut kennen, was eine optimale Vorbereitung ist für den weiteren Probeprozess.
Die Ausstellungsräume im Kunstmuseum wurden zu deiner Bühne – wie war es für dich, in einem ganz neuen und ungewöhnlichen Setting ausserhalb des Theaters zu spielen?
Ich habe es geliebt im Museum zu spielen. Die Objekte haben meine Fantasie beflügelt. Manchmal passten sie wie «die Faust aufs Auge» zu den Szenen, die ich davor oder darin spielte, manchmal änderten sich die Aussagen des Textes durch die Beziehung mit den Kunstwerken.
Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie, Theater St.Gallen
Aufgrund welcher Kriterien habt ihr euch für das Kunstmuseum als «Kulisse» entschieden?
Meiner Einschätzung nach ist Jonas Knecht sehr bemüht, das Theater immer wieder aus den klassischen Bühnenräumen und in die Stadt zu holen. Das sieht man auch an den vielen Projekten im Container, der schon an verschiedensten Standorten in der Altstadt stand. Die Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum ist ein weiteres Format, um Theater auf eine neue Art erlebbar zu machen, was ich persönlich sehr spannend finde.
Inwiefern habt ihr das Kunstmuseum in das Schauspiel integriert und welche Ausstellungen flossen in die Geschichte ein?
Ich bespiele als Pearl den gesamten unteren Teil des Kunstmuseums, wo derzeit die Ausstellung Welt am Draht gezeigt wird. Die Objekte sind meine Stationen, anhand derer ich einzelne Kapitel aus der Geschichte erzähle. Als ob ich selbst in diesem Museum feststecke, tauche ich auf und führe die Teilnehmenden durch diese Räume. Die Werke sind veranlassen mich, weitere Details aus dem Leben der Pearl preiszugeben.
Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie, Theater St.Gallen
Mittendrin gab es zwangsläufig einen «Bühnenbild-Wechsel»: Ausstellungen liefen aus und wurden abgebaut, neue Ausstellungen boten dafür eine neue Bühne. Wie seid ihr mit diesem Wechsel umgegangen?
Das war für mich tatsächlich sehr aufreibend. Ich hatte erst die Premiere gespielt und war weit weg davon, diesen Monolog, der auch immer ein Kraftakt an Konzentration bedeutet, aus dem Ärmel schütteln zu können, als bereits die nächste Ausstellung aufgebaut wurde. Die zweite Vorstellung habe ich zwischen Umbaukisten gespielt und die Dritte im neuen Setting. Ich musste also jedes Mal am Nachmittag vor meinem Auftritt die neue Spielsituation anschauen und klären, was ich mit dem neuen «Bühnenbild» anstellen konnte, entscheiden, welche Werke für welche Textausschnitte passten und die Wege dahin proben. Durch die Proben, die genaue Auseinandersetzung mit der Figur und der tollen Textarbeit während den Proben war ich zum Glück sehr flexibel und konnte auf die neue Situation gut reagieren. Während den Vorstellungen liefen die Drähte in meinem Hirn heiss, aber ich habe es auch genossen, mich durch die Umstellung ganz auf den Moment zu verlassen.
Welche Szene oder welches Kunstwerk ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Eine vermeintlich klassische Skulptur mit einem Plastiksack über dem Kopf und alten Tonbändern, die von einem Ventilator in Bewegung gebracht werden. Das Werk Video von Simon Dybbroe Møller hat mich sehr berührt. Diese «vermüllte Schönheit» passte sehr gut zum Stück und die abwehrende Haltung der Skulptur war eine Verstärkung der Situation, in der ich spielte.
Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie, Theater St.Gallen
Aufgrund der Corona-Pandemie wurde die Monologreihe Ende 2020 nicht mehr aufgeführt. Sie wird Anfang 2021, sobald wie möglich, fortgeführt.
Mehr zur Monologreihe auf der Website des Theater St.Gallen
Interview: Sophie Lichtenstern und Gloria Weiss, Kunstmuseum und Kunstverein St.Gallen
Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie, Theater St.Gallen