Markus Schöb ist Kunstsammler, Geschäftsleiter von Beurret & Bailly Auktionen Galerie Widmer und Vorstandsmitglied im Kunstverein St.Gallen. Wir haben ihn zu seiner persönlichen Einschätzung des Kunstmarkts gefragt und auf welche Weise die Corona-Krise diesen bisher beeinflusst hat.
Markus Schöb, Kunstsammler, Geschäftsleiter von Beurret & Bailly Auktionen Galerie Widmer und Vorstandsmitglied im Kunstverein St.Gallen
Wie hast du den Lockdown empfunden und wie nimmst du die aktuelle Situation wahr?
Markus Schöb: Der Lockdown traf uns mitten in der St. Galler Vorbesichtigung und während der letzten Vorbereitungen für unsere grosse Frühjahrsauktion. Wie bei vielen anderen Firmen wurden die Aktivitäten fast vollends gestoppt. Doch aus der gespenstischen Ruhe und Blockade am Anfang entwickelte sich bald eine Zeit für Brainstorming und Ideen …
Aussenansicht von Beurret & Bailly Auktionen Galerie Widmer in St.Gallen.
Während des Lockdowns gab es kaum Möglichkeiten, Kunstwerke zu erleben – Museen, Galerien, Auktionshäuser und weitere Institutionen waren geschlossen. Wie konntest du privat dennoch für eine kunstreiche Zeit sorgen?
MS: Gerade diese Zeit hat mir gezeigt, wie unglaublich schön und wertvoll es ist, mit Kunst zu leben. Mit mehr Zeit für mich selbst habe ich die Werke zu Hause plötzlich viel intensiver erlebt. Daneben habe ich sehr viele wunderbare Produktionen zum Thema im Netz z.B. auf Arte entdeckt und sehr viele Galerien gaben sich mit dem Inhalt ihrer Newsletter besondere Mühe.
Was hast du in dieser Zeit am meisten vermisst?
MS: Der Lockdown hat eindrücklich gezeigt, wie wichtig Museen, aber auch Galerien sind. Für die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, der Zukunft, aber auch mit sich selbst – und wie sehr diese Anregungen plötzlich fehlten! Viele Werke in Museumssammlungen habe ich vermisst, so wie Freundinnen und Freunde, die ich länger nicht besuchen konnte, obwohl ich diese ja auch sonst nur sporadisch sehe. Auch das gemeinschaftliche Erleben von Kunst und die gemeinschaftliche Auseinandersetzung mit ihr haben gefehlt, auch wenn es etwas Wohltuendes hatte, einmal nicht von Kunstmesse zu Kunstmesse und Vorbesichtigung zu Vorbesichtigung getrieben zu werden.
In welche Ausstellung bist du nach der Wiederöffnung als Erstes? Gibt es ein Lieblingswerk, das du unbedingt wiedersehen musstest?
MS: Als erstes habe ich die zwanziger Jahre Ausstellung (Schall und Rauch) im Kunsthaus Zürich sowie Metamorphosis Overdrive und Geta Brătescu im Kunstmuseum St.Gallen besucht, welche ich vor dem Lockdown nicht mehr sehen konnte. Und ich fand die St. Galler Ausstellungen um einiges erfrischender, spannender und pointierter als diejenigen in Zürich. In der Sammlung des St. Galler Kunstmuseums habe ich mit Freude dem kranken Knaben von Giovanni Giacometti Hallo gesagt, der seit meiner Kindheit zu meinen Lieblingsbildern gehört. Mit seiner Spannung zwischen ängstlichem Leiden und dennoch auch wohliger Versunkenheit und der Sehnsucht nach Geborgenheit, welche das Bild erweckt, passt es gut zur Situation.
Giacometti Giovanni, Kranker Knabe, 1909, Foto: Sebastian Stadler
Welche Zugänge bleiben dir weiterhin verwehrt und was vermisst du trotz Lockerung und Wiederöffnung der Museen?
MS: Ganz klar fehlen natürlich die Kunstmessen. Ich vermeide im Moment auch, für Ausstellungen, Vorbesichtigungen oder Museumsbesuche ins Ausland zu reisen.
In welcher Hinsicht hat die Corona-Krise den Kunstmarkt beeinflusst – insbesondere die Auktionshäuser?
MS: Wie in anderen Branchen wurde die Digitalisierung radikal beschleunigt. Bei den beiden grossen Auktionshäusern Christie’s und Sotheby‘s wird nun der grösste Teil der Auktionen nur noch online durchgeführt, so finden auch die einstmals prestigeträchtigen Versteigerungen für Schweizer Kunst nur noch im Internet statt. Auch wir bei Beurret & Bailly gehen mit der Zeit, halten aber auch weiterhin mit sorgfältigen Katalogen gegen diese Entwicklung.
Wie ist aktuell die Stimmung im Kunstmarkt – warst du während des Lockdowns auch in Kontakt mit weiteren Auktionshäusern oder Kunsthandelnden?
MS: Die Auktionen laufen im Allgemeinen erstaunlich gut, wir hatten im Juni eine unserer erfolgreichsten Versteigerungen überhaupt. Von Galerien höre ich verschiedenes, von solchen, bei denen es sehr ruhig ist und die ohne die Kunstmessen leiden, bis zu anderen, die davon profitieren, dass Sammlerinnen und Sammler mehr Geld lokal ausgeben, genau weil die Messen nicht stattfinden.
Gibt es trotz der Krise neue Chancen für den Kunstmarkt?
MS: Auch wenn man das Wort Entschleunigung schon gar nicht mehr hören kann, sehe ich diese doch als riesige Chance für einen Kunstmarkt, der vor allem im zeitgenössischen Bereich zuletzt komplett überhitzt und überdreht war. Momente, in denen sich eine Branche neu erfinden muss, können durchaus auch etwas Positives haben!
Interview: Sophie Lichtenstern, Gloria Weiss