Flavio Hodel, Selbstportrait
Ein Werkdiskurs ist ursprünglich ein Format aus Kunstakademien und -hochschulen für angehende Künstlerinnen und Künstler. Als Plattform bietet er den Kunstschaffenden die Möglichkeit an, sich über ihre Werke oder aktuelle Arbeiten, die noch im Prozess sind, auszutauschen. Der Werkdiskurs ist ein exklusives Format des Kunstvereins und findet in der Regel im Kunstmuseum St.Gallen statt. Im Gespräch mit dem Künstler Flavio Hodel ergründen wir den Werkdiskurs aus Sicht eines teilnehmenden Kunstschaffenden.
Wann hast du das erste Mal an einem Werkdiskurs teilgenommen und wie hast du diesen in Erinnerung?
Flavio Hodel: Das war am ersten Werkdiskurs überhaupt, der im Frühling 2018 stattgefunden hat. Es sind viele der Künstlerinnen und Künstler erschienen, die an einer vorhergehenden Veranstaltung mit Nadia Veronese (Leiterin Kunstverein St.Gallen, Anm. der Redaktion) mögliche Formate diskutiert haben, wobei wir uns auf den jetzigen Rahmen des Werkdiskurses geeinigt haben. Wassili Widmer hat sich dazu bereit erklärt als Erster zu präsentieren und eine Zusammenstellung verschiedener Zeichnungen mitgebracht. Insgesamt hatte die Sache einen spontanen Grundton – zum Beispiel war nicht ganz klar, was seine zentralen Fragestellungen waren. Das war aber auch nicht unbedingt nötig, da sowieso eine Vielzahl unterschiedlicher Reaktionen und spannender Kommentare entstanden, die zum Denken anregten.
Welche Arbeit hast du an «deinem» Werkdiskurs vorgestellt und warum genau diese?
FH: An meinem Werkdiskurs habe ich die Arbeit ‚Samantha, Paul & Samantha’ vorgestellt – eine fragmentierte freihängende Malerei, die verschiedene Schaufensterpuppen zeigt. Sie ist kurz zuvor fertiggestellt worden und kam aus einer Reihe von Arbeiten, deren Art und Technik ich in diesem Jahr intensiv weiterentwickelt habe. Entsprechend beschäftigten mich in erster Linie Fragen, die das Medium betrafen. Im Zusammenhang mit den Mannequins interessierten mich die Oberflächen, die heute mehr denn je mit Codes und Inhalten durchsetzt sind, wodurch eine diffuse Situation entsteht: diese Codes werden zwar gelebt aber kaum verstanden oder reflektiert.
Flavio Hodel, Samantha, Paul & Samantha, 2018, 150 x 220cm, Öl auf Fiberglaskonstruktion
Was war für dich das Fazit «deines» Werkdiskurses?
FH: Ich war dankbar, dass teils erfahrenere und auch sehr unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler positiv auf meine Arbeit reagierten und mir Anstoss dazu gaben, die Tätigkeit und Reflexion in die gefasste Richtung weiter zu verfolgen. Gerade weil ich damals als besessener Einsiedler so viel Zeit im Atelier investiert hatte, war es wohltuend zu sehen, dass andere etwas mit dem Werk anfangen können und auch selbst angeregt wurden. Sinn, Relevanz und Potential wurden bestätigt und meine weniger guten Ideen für Weiterentwicklungen wurden konstruktiv kritisiert.
Hat der Werkdiskurs einen Einfluss auf dein künstlerisches Schaffen?
FH: Der relevanteste Einfluss besteht im Kennenlernen sehr unterschiedlicher Kunstschaffender und deren Methoden Kunst zu denken und in Form zu bringen. Wenn dabei auch noch Kooperationen entstehen, wird umso deutlicher, wie dankbar solche Formate sind. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass von institutioneller Seite so etwas initiiert wird. Andere Institutionen sollten sich hier ein Vorbild nehmen und weitere Ideen entwickeln, wie man das lokale Kulturschaffen auf unterschiedlichen Ebenen fördern und zusammenbringen kann.
Woran arbeitest du im Moment oder als nächstes?
FH: Mein Schwerpunkt liegt nach wie vor im Fragmentieren und Verfremden, allerdings habe ich mich zunehmend medial geöffnet und bin im Schaffen installativer und sinnlich vielfältiger geworden. Ein neues «Teilthema» ist die Frage, wie sich Purismus und Progressivität gegenseitig ausschliessen. Ausserdem interessiert mich, wie man Schönheit und zerbrochene Komplexität vereinen kann. Bei letzterem beschäftige ich mich vermehrt mit der Experimentalpsychologie. Die für mich spannendsten Ergebnisse kommen aus Bereichen, die sich damit auseinandersetzen, wie die Umgebung unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst. Das Gebiet verdient definitiv mehr Aufmerksamkeit.
Flavio Hodel, Wo der Pfeffer wächst, 2019, 80x105cm, Öl auf Fiberglaskonstruktion
Aufgrund der Corona-Pandemie werden die Werkdiskurse statt im Museumscafé im virtuellen Raum abgehalten. Wie hast du die Werkdiskurse als Videokonferenz erlebt?
FH: Zwar hatte ich bei schönem Wetter eher wenig Lust, mich vor den Bildschirm zu setzen, aber insgesamt war die Erfahrung positiv, gerade weil auch Kunstschaffende, die sich ausserhalb der Schweiz befanden teilnehmen konnten. Die Kommunikation hat im virtuellen Raum nur sehr wenig an Qualität eingebüsst. Allerdings ist es schon um einiges schöner, die Begegnung mit einer künstlerischen Arbeit direkt vor den Werken zu erleben.
Wie hast du das Arbeiten während des Lockdowns empfunden?
FH: Im Vergleich zu vielen anderen Kulturschaffenden wurde ich von finanziellen Engpässen verschont und konnte somit entspannt weiterarbeiten. Allerdings wurde jede geplante Ausstellung verschoben, was wohl die Motivation leicht ankratzte. Ausserdem durfte ich feststellen, dass ich das asketische Künstler-Dasein heute weniger gut vertrage wie noch vor ein paar Jahren und dass das Arbeiten ausserhalb des Ateliers, sowie Begegnungen und damit einhergehende Inputs doch ganz toll und ausgleichend sind. Aufgrund dieser Erfahrung kann ich mir jetzt sehr gut vorstellen in einem Künstler-Duo tätig zu sein oder allgemein vermehrt in kooperativer Form künstlerische Fragestellungen zu verfolgen.
Flavio Hodel ist 1994 in St. Gallen geboren und aufgewachsen. Er hat an der Hochschule Luzern Design & Kunst studiert, 2017 mit dem Bachelor in Fine Arts abgeschlossen und ist seither freischaffender Künstler. Seine Arbeiten reflektieren das Auseinanderfallen und Zusammenführen in Denk- und Wahrnehmungsprozessen.
Flavio Hodel, ohne Titel, 2020, 39 x 59cm, Öl auf Fiberglaskonstruktion
Interview: Sophie Lichtenstern und Gloria Weiss, Kunstverein und Kunstmuseum St.Gallen
Hier geht es zur Webseite von Flavio Hodel.