Ausschnitt aus dem Ausstellungsplakat, Gestaltung: TGG
Georg Gatsas (*1978 in Grabs) stellte bereits 2017 im Rahmen des Manor Kunstpreises bereits im Kunstmuseum St.Gallen aus. In seiner ersten Einzelausstellung Are You… Can You… Were You? bediente sich der Künstler eines interdisziplinären Ansatzes, der sich darauf konzentrierte, wie Sound, Erinnerung und öffentlicher Raum interagieren. Als Nomade in einer globalisierten Welt reist er zwischen verschiedenen urbanen Landschaften umher und bildet in seinen Porträts Individuen in den Welten ab, die sie umgeben.
Drei Jahre später und inmitten der Corona-Pandemie, in der das Reisen erschwert oder gar nicht erst möglich ist, entsteht seine Werkreihe SOMA. Acht «Screen-Porträts» aus dieser Reihe sind seit 24. Oktober 2020 und noch bis 29. August 2021 in der Ausstellung Welt am Draht im Kunstmuseum St.Gallen zu sehen. Die Ausstellung umfasst insgesamt 17 Kunstschaffende, die alle mit Hauptwerken in der Sammlung des Kunstmuseums vertreten sind. Der Ausstellungstitel basiert auf dem gleichnamigen zweiteiligen Fernsehfilm von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1973. Die Parallelen zum Lebensgefühl in der Zeit des ersten Lockdowns von 2020 sind offensichtlich und die daraus sich ergebenden Verwerfungen unübersichtlicher denn je. Die Welt ist nicht, was sie scheint, und die Berichte über sie erst recht nicht, nur die Reflexion lässt die Dinge klarer werden.
Im Kunstgespräch vom 28. Oktober 2020 äussert sich Georg Gatsas gegenüber Roland Wäspe, Kurator und Direktor des Kunstmuseums St.Gallen, wie er diese besondere Zeit erlebte und diese künstlerisch in seiner neuen Werkreihe verarbeitete.
Roland Wäspe: In der Ausstellung geht es um die Erkundung des eigenen Ichs, hier im Plakat zu sehen, gestaltet durch Bernhard Senn und Matthias Christ der Grafikagentur TGG. Gerne würde ich von dir wissen, wie denn das Gefühl war, als ich dir vorgeschlagen habe, quasi eine eigene Arbeit im Ausstellungsplakat zu präsentieren, überlagert mit einem Still aus dem Film von Rainer Werner Fassbinder Welt am Draht?
Ausstellungsplakat Welt am Draht, Gestaltung: TGG
Georg Gatsas: Es war mir eine grosse Ehre, denn ich bin mit Fassbinder-Filmen aufgewachsen: Filme wie «Angst essen Seele auf», «Katzelmacher» oder «Die bitteren Tränen der Petra von Kant» waren stilprägend für mich, ebenso sein Zusammenspiel von Gesellschaftskritik und Ästhetik. Ich hatte aber weder ihn noch seine Filme im Kopf, als ich die Serie zu schiessen angefangen habe. Ich habe versucht, mit einem Medium zu arbeiten, welches distanzüberwindend ist, so dass ich neue Arbeiten schaffen kann, ohne mich und andere dem Virus auszusetzen.
Welt am Draht, Installationsansicht, Kunstmuseum St.Gallen, Foto: Stefan Rohner
GG: Während des ersten Lockdowns verbrachte ich die meiste Zeit in meiner Wohnung, hatte sehr viele Zoom- und Skype-Gespräche, was mich immer mehr ermüdete. Das Verhältnis von Arbeit und freier Zeit rückte noch mehr ins Ungleichgewicht, als es schon vorher der Fall war. So sehr, dass sich mein Schlaf-Wach-Rhythmus verschob. Meine Screenaktivität war exorbitant, das wirkte sich negativ auf meinen Körper aus.
Der März 2020 wäre für einen Aufenthalt in Athen geplant gewesen, so wollte ich mit dem Musiker und Komponisten Constantine Skourlis und der Tänzerin und Choreographin Dafin Antoniadou an einer neuen fotografischen Serie und einer Videoarbeit arbeiten. Die Pandemie liess diese Pläne ins Wasser fallen und ich hatte auf einen Schlag nichts mehr zu tun.
Zur selben Zeit tauchten in den Nachrichten, im Netz und auf den Social-Media-Kanälen Bilder von menschenleeren Strassen und Flughäfen, von Menschen in Masken und Schutzanzügen, von Wohnzimmer-Interieurs und selbst gebackenem Brot auf, ein etwas hilfloser Versuch der westlichen Welt, die Corona-Pandemie in Bilder zu fassen. Diese Bilder wollte ich selbst nicht reproduzieren, aber trotzdem wollte ich eine neue Serie in Angriff nehmen. Doch wie konnte ich dies machen, ohne mich und andere in Gefahr zu bringen? Mit welchen distanzüberwindenden Medien kann ich arbeiten? Wie kann ich mit dieser neuen Arbeit an mein bisheriges Werk anknüpfen?
Die Antwort war schnell gefunden, sie war direkt vor meiner Nase. Nach ein paar Aufnahmetests mit meiner neu erworbenen digitalen Kamera, startete ich meine «Screen-Porträts», und loggte mich in die Wohnzimmer von befreundeten Musikern und Autorinnen, Fotografen und Tänzerinnen, von Künstlern und Künstlerinnen. Die Verbindungen liefen nach Athen, Berlin, Johannesburg und Zürich, direkt aus meinem eigenen Schlafzimmer.
Es gab ein paar technische Parameter, die ich beachten musste oder mit denen ich zu kämpfen hatte: So mussten beispielsweise alle Aufnahmen in der Nacht gemacht werden. Das ging technisch nicht anders, denn bei Tageslicht spiegelt der Bildschirm des Laptops zu sehr, was fotografisch ein ästhetischer Reinfall ist. Die Nachtaufnahmen wiederum bringen meinen gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus genau auf den Punkt.
Georg Gatsas, SOMA, Constantine Skourlis, 2020
Georg Gatsas, SOMA, Dafin Antoniadou, 2020
GG: Ich denke, meine Serie SOMA schafft es sehr gut, den ersten Lockdown aus unserer privilegierten westlichen Sicht in Bildern festzuhalten. Ich wollte sowohl die Porträts, die Umgebung der Porträtierten als auch das Instrumentarium – den Laptop, die Webcams, meine eigene Kamera – so präzise wie möglich abbilden. Denn COVID-19 hat ebenfalls die digitale Transformation beschleunigt. Und mit ihr wird der Präsentismus in unserem Gesellschaftssystem immer ausgeprägter, das heisst, Vergangenem und Zukünftigem kommt immer weniger eine reale Existenz zu.
Ich glaube, sehr viele Leute haben jetzt schon keine Erinnerung mehr daran, mit welchem Instrumentarium wir vor zehn Jahren kommuniziert haben, welche Objekte verschwunden sind und welche Ereignisse uns verändert haben. SOMA ist deshalb sicher auch ein Zeitdokument des ersten Lockdowns.
RW: Du hattest die Serie schon zuvor präsentiert…
GG: Die Serie habe ich gleich nach ihrer Fertigstellung im Rahmen meiner Diplomausstellung «Master of Arts in Fine Arts» gezeigt, die im Kunsthaus Baselland im August 2020 stattgefunden hat. Alle Absolvierenden mussten unter den COVID-19-Hygiene- und Verhaltensregeln die Diplomarbeit in Angriff nehmen: Zoom-Treffen, Hände waschen, Masken tragen, Abstand halten. Ich wollte eine Arbeit machen, die das Jahr 2020 punkthaft verdichtet, denn ausklammern konnte ich die Pandemie in neuen Werken nicht. Ich glaube auch, dass die Pandemie noch einige Jahre dauern wird, diese Vorsichtsmassnahmen Teile einer neuen Realität sein werden. Ich bin gerade daran, alle meine zukünftigen Arbeiten an diese neue Wirklichkeit anzupassen. So kann ich besser damit umgehen und muss auch keine Projekte absagen.
Georg Gatsas, SOMA, 2020, Foto: Stefan Rohner
RW: Es war dir also wichtig, dass es zeitgleich ist und ganz signifikant eine aktuelle Arbeit präsentiert. Dafür hast du eine neue Präsentationsform gewählt. Normalerweise sind es Fotoabzüge im Grossformat, hier hast du dich aber für Abzüge auf Hahnemühle-Papier entschieden, die eine ganz bestimmte Reflexion aufweist.
GG: Es handelt sich hierbei um Inkjet-Prints, die auf mattes Hahnemühle-Papier gedruckt wurden. Ich habe die «Screen-Porträts» ungerahmt an die Wand gepinnt, um den «Screen-Porträts» eine Materialität und einen Eindruck der Direktheit zu verleihen. Und sie können in dieser Form leicht beschädigt werden – so wie wir zu Beginn der Pandemie körperlich viel verwundbarer, im ersten Lockdown psychisch viel verletzlicher gewesen sind: Berührt man die Prints mit dem Finger oder fährt mit dem Finger daran herum, dann sind sie irreparabel beschädigt.
RW: Du hast eine ganz bestimmte Selektion und Abfolge von Bildern gewählt, die hier gezeigt ist. Wie kam es zu dieser Auswahl?
GG: Ich wollte mit SOMA alle visuellen Möglichkeiten der Zoom-Treffen und Skype-Gesprächen in Form von Porträts ausloten und abbilden. Dazu zähle ich auch diejenigen Bilder, in denen niemand zu sehen ist, dafür aber das Interieur viel über die Person verrät. Tobias Spichtigs Wohnzimmer ist deshalb leicht zu erraten.
Ich wollte auch das Unheimliche, das leichte Unbehagen einfangen, das sich während eines Video-Telefonats einstellt, wenn die Person sich kurz während eines Gespräches entschuldigt, verschwindet und man in den privaten Raum einer Person blickt, ohne dass etwas passiert. Eine innere Leere tut sich auf – bis die Person nach einigen Minuten wieder zurückkehrt.
Georg Gatsas, SOMA, Tobias Spichtig’s Living Room, 2020
Georg Gatsas, SOMA, Tobias Spichtig, 2020
RW: Könntest du vielleicht noch kurz erwähnen, was wir hier sehen. Wie ist denn dieses Bild entstanden?
GG: Während meinen Skype- und Zoom-Gesprächen ist mir aufgefallen, dass die Software dieser internetbasierten Instant-Messaging-Dienste nicht ganz fehlerfrei ist. So können sogenannte «Glitches» auftreten. Diese Grafik- und Software-Störungen treten immer dann in Erscheinung, wenn die zu porträtierende Person einen virtuellen Background eingestellt hat. Sobald dieser virtuelle Hintergrund zwei aufeinandertreffende Lichtquellen gleichzeitig lesen muss, wird die Datenübertragung gestört – es kommt zu Störungen und zu Effekten. So auch im Porträt von Dorothee Elmiger, der virtuelle Background verschob sich auf ihr Gesicht, ich schoss das Porträt.
Georg Gatsas, SOMA, Dorothee Elmiger, 2020
GG: Im Porträt von Juliette Uzor überlagerten sich ebenso zwei Bilder, ebenfalls bedingt durch einen «Glitch»: Die Live-Übertragung ist der Umriss von ihrem Profil. Das Bild, auf dem sie lachend zu sehen ist, ist die Aufnahme ihres Mannes, welches sie als Hintergrundbild verwendet hat. Es ist ein sich überlagerndes Doppelporträt.
Georg Gatsas, SOMA, Juliette Uzor, 2020
RW: Lässt sich so etwas reproduzieren oder ist das durch den Moment bedingt?
GG: Das ist total durch den Moment bedingt, ein guter Zufall.
RW: Zu Pipilottis Porträt: Ist dies ein bestimmter Filter, der der Ästhetik ihrer Videoarbeiten entspricht, lese ich das richtig?
GG: Das liest du ganz genau richtig. Sie ist Teil einer Skype-Community, die verschiedene Filter ausprobiert. Sie hat mir ein paar davon vorgespielt, wobei wir uns schnell auf einen bestimmten einigen konnten, welchen wir für unseren Porträt-Shoot verwendet haben.
Georg Gatsas, SOMA, Pipilotti Rist, 2020
Georg Gatsas, SOMA, 2020
Courtesy Georg Gatsas
Georg Gatsas (*1978 in Grabs) lebt und arbeitet in der Ostschweiz und in Basel.
Er absolvierte 2018 bis 2020 den Master of Arts in Fine Arts am Institut Kunst, FHNW Basel.
Schreibt regelmässig für das Saiten und die WoZ.
Zur Ausstellung Welt am Draht.
Zur Website von Georg Gatsas.
Kunstgespräch anlässlich der Ausstellung Welt am Draht vom 28. Oktober 2020 mit Georg Gatsas, Künstler und Roland Wäspe, Direktor im Kunstmuseum St.Gallen.