Interview

Sebastian Stadler (*1988 St.Gallen, lebt und arbeitet in Zürich)
A CLOSE UP OF A LARGE ROCK, I THINK
Publikation zur Ausstellung Pictures, I think – Manor Kunstpreis St.Gallen 2019
Kunstmuseum St.Gallen, 16. November 2019 – 16. Februar 2020

2019 konntest du den Manor Kunstpreis St.Gallen entgegennehmen. Für die damit verbundene Einzelausstellung Pictures, I think im Kunstmuseum St.Gallen hast du neue Videoarbeiten realisiert und die Foto-Serie L’apparition weitergeführt.

Auf welche Weise hat die Auszeichnung die Entwicklung deiner Arbeit beeinflusst?

Sebastian Stadler: Ich hatte dank der Ausstellung im Kunstmuseum St.Gallen erstmals die Möglichkeit, Fotografie und Video umfassend nebeneinander in einer Ausstellung zu zeigen. Diese Konzentration hat den Blick auf meine eigene Arbeit geschärft. Die Publikation A CLOSE-UP OF A LARGE ROCK, I THINK hat die Foto-Arbeit L'apparition und die installativen Bild-Textarbeiten Pictures, I think und Titel kombiniert, neu ausformuliert und aus dem Ausstellungsraum herausgelöst. Dies war ein intensiver und spannender Prozess.

01 Sebastian Stadler Installationsansicht Kunstmuseum St Gallen Foto Sebastian Stadler

Sebastian Stadler, Pictures, I think, 2019, Installationsansicht Kunstmuseum St.Gallen, Foto: Sebastian Stadler

Den Auftakt der Ausstellung im Kunstmuseum bildete die titelgebende Arbeit Pictures, I think, die auf einem Bilderkennungsprogramm und Algorithmus basiert. Was liegt der Bildanalyse durch ein Computerprogramm zugrunde?

Sebastian Stadler: Es ist ein triviales System, das eine Fotografie mit einer Bilddatenbank im Hintergrund abgleicht und scheinbar erkennt, welches Motiv sich auf einem Bild befindet. Die Zuordnung von Begriff zu Motiv ist kein spontaner Akt, sondern folgt dem Rezept, welches vorgängig von einem Programmierer notiert und festgelegt wurde. Wer diesen Algorithmus programmiert, hat die Kontrolle darüber, was am Ende in Buchstaben, Wörtern und Sätzen geschrieben steht und am Bildschirm aufleuchtet. Gerade weil die Betrachtung und Beschreibung eines Bildes auch bei uns Menschen unterschiedlich sein kann, ist dieser «Mythos des Natürlichen» hier aufschlussreich zu erforschen.

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Sebastian Stadler, L’apparition, 2015-2019, Installationsansicht Kunstmuseum St.Gallen, Foto: Daniel Ammann

Mit der Zwei-Kanal-Projektion Titel hast du direkt mit dem Foto-Archiv des Kunstmuseums gearbeitet. Wie kam es zur Umsetzung dieser Arbeit?

Sebastian Stadler: Ich habe die letzten Jahre in Auftragsarbeit in den Ausstellungsräumen und Depots des Kunstmuseums viele Kunstwerke wie Gemälde und Skulpturen fotografisch reproduziert. Dadurch wurde ich auf das Bildarchiv des Museums aufmerksam. Ich fand es spannend, dass diese Art meiner Bildproduktion, fern meiner künstlerischen Arbeiten, Teil der Ausstellung werden könnte. Im Vortragssaal des Kunstmuseums finden jeweils Vernissagen, Symposien und Vorträge statt, wo ebenfalls Reproduktionen als Projektionen gezeigt werden. Für mich war es somit der ideale Ort, um meine künstlerische Arbeit in einem nicht primär der Ausstellung zugeordneten Raum zu präsentieren.

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Sebastian Stadler, Titel, Installationsansicht Kunstmuseum St.Gallen, Foto: Sebastian Stadler

Sebastian Stadler: In Titel wird dabei alles andere als wissenschaftlich mit dem Archiv-Bildmaterial umgegangen: Der lückenhafte Algorithmus wird auf das Bildarchiv losgelassen. Es entsteht ein Bild- und Textpaar, welches eine Behauptung aufstellt. Dabei beschäftige ich mich mit der Frage: Wie beschreiben wir Bilder und wie verändern sich Bilder mit einem Text? Die Arbeiten Titel und Pictures, I think sind in Zusammenarbeit mit dem Programmierer Carlo Jörges entstanden. Diese Zusammenarbeit war ein herausfordernder Entwicklungsprozess, der neue Erkenntnisse zutage gebracht hat.

In der Zwischenzeit hast du an der Publikation A CLOSE-UP OF A LARGE ROCK, I THINK gearbeitet, die Winfried Heiniger, Verleger, und Martin Andereggen, Grafiker und Mitbegründer von Atlas Studio, gestaltet haben und im Verlag Kodoji Press Anfang Jahr erschienen ist. Welchen Fokus hast du in der inhaltlichen Ausgestaltung der Publikation gesetzt?

Sebastian Stadler: Es ist ein Buch, welches beim ersten Durchblättern die Fotografien in unmittelbarer Form zeigt: Materialität, Dinglichkeit und Fixierung von Zeit. Bei näherer Betrachtung werden Überlagerungen und Kollisionen der Doppelbelichtungen sichtbar: Es wird markiert, überzeichnet und manchmal versteckt. Aber was sieht man eigentlich auf den Bildern? Und wie ist das Gesehene zu beschreiben? Dies sind Aspekte der Arbeit L'apparition, welche dank der sorgfältigen Gestaltung und Setzung von Winfried und Martin nochmals eine Entsprechung in der Form des Buches finden. Es ist ein Buch zum Entdecken! Man sollte die Perforationen unbedingt öffnen.

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Sebastian Stadler
A CLOSE UP OF A LARGE ROCK, I THINK

Publikation zur Ausstellung Pictures, I think – Manor Kunstpreis St.Gallen 2019
Kunstmuseum St.Gallen 16. November 2019 – 16. Februar 2020

Texte (engl.) von Marco Poloni und Nadia Veronese
24 × 32 cm, 128 Seiten, 102 farbige und s/w Abbildungen,
flexibler Einband, bedruckter Mylar-Schutzumschlag mit Klappen,
Beileger mit dt. Texten
Kodoji Press, Baden, 2021
ISBN 978-3-03747-098-5

CHF 50.-
CHF 40.- für Mitglieder des Kunstvereins St.Gallen

Welche Projekte verfolgst du zurzeit?

Sebastian Stadler: Ich arbeite an einigen Projekten gleichzeitig: Da wären fotografische Serien, Videoarbeiten und ein kuratorisches Projekt, welches Ende Jahr startet. Begleitend zur Publikation erscheint eine Sonderedition, die ich gerade fertigstelle und demnächst präsentieren werde.

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Ehemaliges Atelier von Sebastian Stadler am Wiler Bahnhof

Sebastian Stadler (*1988 St.Gallen, lebt und arbeitet in Zürich) wurde 2019 mit dem Manor-Kunstpreis ausgezeichnet, der mit einer Ausstellung im Kunstmuseum St.Gallen verbunden ist. Seine neue Publikation A CLOSE UP OF A LARGE ROCK, I THINK entstand im Rahmen dieser Ausstellung mit dem Titel Pictures, I think, kuratiert von Nadia Veronese. Mit den verschiedenen Text- und Bildformen stellt das Buch eine Verbindung zwischen seiner fotografischen Arbeit L’apparition, 2015–2019, und durch von Bilderkennungssoftware generiertem Text her. Zugleich ist die Publikation einerseits eine Reflexion darüber, wie sich das, was wir sehen, im Zuge fortschreitender Bildtechnologien verändert hat und zugleich ein Ausblick auf eine Zukunft, die zunehmend von Algorithmen geprägt sein wird.

Zur Ausstellung Sebastian Stadler – Pictures, I think

Interview: Nadia Veronese, Kuratorin Kunstmuseum St.Gallen und Kunstvereinsleiterin

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