Città irreale, Installationsansicht, Lokremise St.Gallen, Foto: Sebastian Stadler
Ortsspezifische Interpretationen von Raumstrukturen sind jeweils Ausgangspunkt von Sara Masügers (*1978 Zug, lebt und arbeitet in Zürich) Konzeption an einem Ausstellungsort. Masügers plastische und installative Arbeit ist eine material- und wahrnehmungsintensive Beschäftigung mit dem menschlichen Körper in Bezug zum architektonischen Raum. Das Zusammensetzen, Fragmentieren, Formen und Abformen bestimmen und überfordern die Grenze zwischen Innen- und Aussenraum. Die Gestaltung von Materie geht einher mit physischem Körpereinsatz und ästhetischer Wahrnehmung. Stets sind es tektonische Eigenheiten, architektonische Strukturen, körperliche Präsenz oder existentielle Chiffren, die Masügers künstlerische Arbeit bestimmen und sich in Vergewisserung von Material und Form verdichten.
Wie ist das Werk Tunnel entstanden und in welchem Zusammenhang wurde es bisher gezeigt?
Sara Masüger: 2014 erhielt ich den Werkbeitrag des Kantons Zug. Euphorisiert von diesem riesigen Vertrauensvorschuss und den damit verbundenen finanziellen Möglichkeiten, war es mir ein grosses Anliegen, etwas Substanzielles zurückzugeben. Ich hatte gleichzeitig eine Anfrage von Tom Bola für eine Ausstellung in einem alten Haus in Zug, welches als Offspace genutzt wurde. Und ich hatte das grosse Glück, dass Christoph Giesch, ein befreundeter Künstler, ein Praktikum bei mir machen wollte. Obwohl die Ausstellung nur eine Laufzeit von 5 Tagen hatte, begannen wir voller Enthusiasmus zu bauen. Der Tunnel entstand in engem Dialog mit dem architektonischen Raum und wurde zu einer ortsspezifischen Installation. Am Ende wog er 2.5 Tonnen. Die fünf Tage schienen dann doch knapp bemessen... Also schnitt ich den Tunnel in Teilstücke, in der Hoffnung, eines Tages den ganzen Raum nachzubauen. Aufgrund dieser Arbeit entwickelte sich übrigens auch die Idee für die permanente Installation Inn reverse im Muzeum Susch.
Kreidefelsen auf Rügen 1818, 2014, im Ausstellungsraum Tom Bola in Zug, 2014 Foto: Sara Masüger
Kreidefelsen auf Rügen 1818, 2014, im Ausstellungsraum Tom Bola in Zug, 2014 Foto: Sara Masüger
Wie hat Tunnel den Weg in die Ausstellung Città irreale und in die Kunstzone der Lokremise gefunden?
SM: Nach 7 Jahren hatte ich schliesslich verstanden, dass es unsinnig ist, die Teilstücke weiter zu lagern. Und genau da entschied sich das Kunstmuseum St.Gallen, zu meinem unsagbaren Glück, die Arbeit anzukaufen. Das Museum mietete eine Halle in Arbon, in der wir die doch recht wild zersägten Teilstücke in Elemente umbauten, die auf- und abbaubar sind. Schliesslich fragte mich Nadia Veronese, Kuratorin des Kunstmuseums, ob ich mir vorstellen kann, diese Arbeit in der Ausstellung Città irreale zu zeigen. Meine Zweifel, inwieweit die Arbeit unabhängig von ihrem Ursprungsraum funktioniert, wurden in der Lokremise durch neue architektonische Bezüge ausgeräumt, sodass es mir jetzt möglich ist, ganz neu über die Autonomie von Installationen nachzudenken.
Arbeiten an der Konstruktion und den einzelnen Elementen des Werks in einer Halle in Arbon, Foto: Sara Masüger
Arbeiten an der Konstruktion und den einzelnen Elementen des Werks in einer Halle in Arbon, Foto: Sara Masüger
Arbeiten an der Konstruktion und den einzelnen Elementen des Werks in einer Halle in Arbon, Foto: Sara Masüger
Wie fügt sich deiner Meinung nach Tunnel in der Ausstellung Città irreale ein? Siehst du Synergien, Anknüpfungspunkte oder Widersprüche zwischen deiner Skulptur und den den Werken von Nina Beier, Christoph Büchel, Bob Gramsma, Alex Hanimann und Jessica Stockholder?
SM: Das Schritt für Schritt Vermessen des eigenen Körpers im Verhältnis zur Skulptur, sowie im Verhältnis zum architektonischen Raum, welches dem Tunnel zu Grunde liegt, finde ich auch in Stockholders: Vortex in the play of Theater with Real Passion. In Memory of Kay Stockholder, 2000/2020. Während ihre Installation sich wie ein begehbares Bild, mit jeder Bewegung verändert, spitzt sich der Innenraum des Tunnels so weit zu, dass er vom physisch begehbaren Raum zu einem Bildraum wird. Auch das Spiel mit dem Massstab, die Frage wie die Grösse den Inhalt verändert, findet sich in beiden Arbeiten. Im Tunnelinnenraum ist dies sehr direkt auf den Körper bezogen, im Aussenraum wird gleichzeitig auf die Raumhöhe angespielt. Bei Stockholder werden Duplo-Bausteine zu Materialcontainern und aktivieren die volle Raumhöhe und den Industriecharakter der Lokremise.
Jessica Stockholder, Vortex in the Play of Theater with Real Passion. In Memory of Kay Stockholder, 2000/2020, Erworben vom Kunstverein St.Gallen 2000, Foto: Sebastian Stadler
SM: Nina Beiers Arbeiten Ground, 2015, bilden einen wichtigen Kontrast dazu und liegen direkt auf dem Boden. Sie verweisen auf die Abwesenheit der ursprünglichen Monumente, indem sie ausschliesslich den Sockel von Reiterdenkmälern abnahm und in Bronzeskulpturen übersetzte. Die Fundamente der Statuen sind skulptural gesehen beiläufiger, schneller bearbeitet als wir es von den abwesenden Monumenten kennen, sie fungieren als mögliche Platzhalter, befragen unsere körperliche Präsenz im Verhältnis zur Skulptur und ihrer Zeitlichkeit. Der Tunnel verbindet die schnellen Bewegungen im Innenraum mit der fast ebenso bewegten Oberfläche im Aussenraum. Die scheinbar geometrische äussere Form erweist sich bei näherem Betrachten fast genauso bewegt wie die Innenseite, ihre Bewegung findet jedoch dermassen verlangsamt statt, dass man sie leicht vergisst.
Nina Beier, Ground, 2015, Erworben vom Kunstmuseum St.Gallen 2020, Foto: Sebastian Stadler
SM: Christoph Büchels Installation The House of Friction (Pumpwerk Heimat), 2002/2013, sowie seine Arbeit Ohne Titel, 1997, beeindrucken mich ganz besonders. The House of Friction (Pumpwerk Heimat) ist für den Wasserturm entworfen worden und so stark mit ihm verbunden, dass sie eins geworden sind. Bei der Begehung verdichten sich so viele Eindrücke, Stimmungen und Herausforderungen, dass es mir schien, als wäre ich an mehreren Orten gleichzeitig. Einer orientierungslosen Ahnung folgend, bewegte ich mich traumwandlerisch durch die Installation, bis ich mich schliesslich wieder im Aussenraum befand, und plötzlich vor dem Turm stehend nicht glauben konnte, dass sich all dies im Innern abgespielt haben soll. Im Gegensatz dazu ist die Arbeit Ohne Titel von aussen überschaubar und wenig einladend. Die Beklemmung verstärkt sich jedoch im Innern, sie lässt uns die Position einer Überwacherin oder eines Überwachers einnehmen oder eines/einer Wartenden, im Wissen überwacht zu werden. Diese Arbeit verweist auf so viele uns scheinbar vertraute Orte. Autonom vom architektonischen Raum funktioniert sie in jeder Eingangshalle und erinnert an Grenzposten.
Christoph Büchel, Ohne Titel, 1997, Kunstmuseum St.Gallen, Schenkung des Künstlers 1999, Foto: Sebastian Stadler
Woran arbeitest du derzeit?
Gerade habe ich eine Brunnenskulptur für das Wasserwerk in Zug fertig gestellt, arbeite an Skulpturen aus Alabaster und Acrystal, plane eine Installation für eine Ausstellung in der Akademie der Künste in Berlin und baue Modelle für eine Aussenarbeit, die Ende Mai in der Ausstellung Grund auf dem Bauernhof Froh Ussicht in Samstagern eröffnet wird.
Sara Masüger, Tunnel, 2014/2020, Erworben vom Kunstmuseum St.Gallen 2020, Foto: Sebastian Stadler
Tunnel und die Ausstellung Città irreale sind bis 8. August 2021 in der Kunstzone der Lokremise zu sehen.
Zur Ausstellung
Interview: Sophie Lichtenstern und Gloria Weiss, Kunstmuseum und Kunstverein St.Gallen
Sara Masüger, Tunnel, 2014/2020, Erworben vom Kunstmuseum St.Gallen 2020, Foto: Sebastian Stadler
Zeitraffer-Aufnahmen: Thomas Kolter