Kunstgespräch
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Die Arbeiten von Miriam Sturzenegger entstehen in der skulpturalen und konzeptuellen Auseinandersetzung mit der gegebenen Architektur. Im Oberlichtsaal des Kunstmuseums St.Gallen zeigte sie drei Säulen aus Gips, welche am Rand des Raumes vertikal gesetzt die Gesimskante des Frieses berühren, diesen jedoch leicht überragen und so – nichts tragend – einer statischen Funktion enthoben sind.

CONVERGE TOWARDS / A GAP / OR ABSENCE / BECOME SIMILAR, 2021
AS GEOMETRY / AS GESTURE / RESPOND, POROUS, 2021
SELF / OTHER / COLLAPSE, 2021
Ortsspezifisch konzipierte Installation aus 3 Säulen, Modellgips, Tonpartikel
je 640 × 12 × 12 cm

Deine Arbeit im Oberlichtsaal ist ortsspezifisch. Welche Rolle spielte der gegebene architektonische Kontext bei der Entwicklung der Arbeit, und welche Elemente haben dich konkret inspiriert?

Mit der Einladung zur Ausstellung hatten mir die Kurator*innen Nadia Veronese und Lorenz Wiederkehr angeboten, eine skulpturale Arbeit im Oberlichtsaal zu zeigen. Beide kannten meine Arbeit bereits und wussten, dass ich die bestehende Architektur stark in meine Arbeit miteinbeziehe. Als ich angefangen habe zu planen, habe ich einen Tag hier im Museum verbracht. Vor Ort zu sein hilft mir zu begreifen, was einen Raum prägt, woran ich hängen bleibe, vielleicht auch was mich irritiert. Ich beginne bei dem, was physisch präsent und erfahrbar ist, in der Substanz des Gebauten, in meiner Bewegung durch den Raum, in einer zeitlichen Wahrnehmung. Erste Beobachtungen und Notizen bilden den Ausgangspunkt, um später mit der Distanz und Unvollständigkeit der Erinnerung Überlegungen weiterzudenken und diese mit Fragen zu verknüpfen, die mich unabhängig von einzelnen Projekten begleiten, oder weitere Recherchen zu verfolgen.

Der Oberlichtsaal hat eine ziemlich imposante Wirkung. Es ist der zentrale Saal, ausgezeichnet durch eine Gewölbedecke, durch deren partielle Verglasung Tageslicht in den Raum fällt. Direkt sehen können wir hier von der Aussenwelt nichts, aber bei unruhig bewölktem Himmel bewegt sie sich als veränderliches Lichtspiel über die Decke. Formal prägend ist ein Gesims, das als ornamental ausgestalteter Fries mit Konsolen durchgehend um den ganzen Raum herum läuft. Dieses Gesims markiert den ansonsten unscharfen Übergang zwischen Wand und Decke und gibt dem Blick einen Halt. Es schwebt auf einer Höhe von sechs Metern – unberührt und rahmend – über allem, was darunter geschieht und unterstreicht die Autorität des Raumes. Es trennt den üblicherweise für die Kunstpräsentation benutzten Raum vom «Surplus»-Raum des Gewölbes, der sich zusätzlich darüber erhebt und einen Eindruck von Grösse, Würde und Macht erzeugt.

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Das Gesims liegt auf Höhe der Kämpferlinie, also des obersten Steins in der Mauer, auf dem der Bogen des Gewölbes aufliegt. Diese Kämpferlinie ist im Innern der Wand statisch relevant. Als Gesims nach aussen gekehrt wird sie zum Ornament. Ihre technisch-konstruktive Funktion bleibt verborgen und wird überschrieben durch eine Umwertung: In Form des Frieses wird die Kämpferlinie zu einem ästhetischen Element, das den repräsentativen Anspruch des Raumentwurfs stützt. Diese Beziehung zwischen Stütze, Körper und Ornament, das Kippen zwischen Funktion und Repräsentation hat mich interessiert.

Als ich vor Ort war, hatte ich, eher aus einem Impuls heraus, die Vorstellung, dieses Gesims zu berühren. Die räumliche Vorstellung einer Berührung an einem Punkt, wie wenn etwas mit der Fingerspitze dieses Gesims antippt, und so seine Entrücktheit aufhebt. Später habe ich irgendwo notiert: Etwas nimmt die Form einer Säule an, um das Gesims berühren zu können.

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Im Kunstgespräch anlässlich der Ausstellung Heimspiel 2021 vom 25. Januar 2022 sprachst du von deiner Arbeit als etwas «potenziell Architektonischem» und dass die Säulen zwar «säulenähnlich, aber nicht säulentauglich» sind. Könntest du präzisieren, was du damit meinst?

Aufgrund ihrer schmalen, zylindrischen Form, der vertikalen Ausrichtung und ihrer Dimension, die sich in die Höhe des Raumes erstreckt, lesen wir die drei Formkörper als Säulen, sehr unmittelbar, sobald wir den Raum betreten. Sie bringen ein architektonisches Lesen ins Spiel, und ein Mitdenken des ganzen Raumes. Der Raum ist Teil der Arbeit, sie könnte ohne diese spezifischen architektonischen Voraussetzungen nicht existieren.

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Allerdings erfüllen diese Körper das funktionale Konzept einer Säule nicht und entziehen sich einer klaren Zuordnung. Sie verbinden sich weder mit der statischen Organisation des Gebauten noch mit seiner ornamentalen Ordnung. Sie stehen an einer Stelle, die in der Logik der Architektur keinen Sinn ergibt. Während in verschiedenen anderen Räumen des Museums Säulen unterschiedlicher Form anzutreffen sind, gibt es im Oberlichtsaal keine, und es gibt in der Ordnung des Raumes auch keinen plausiblen Platz für tragende Säulen. Die Decke ist als Gewölbe gebaut, um sich selbst tragen zu können. So sind die Säulen, die ich in den Raum eingefügt habe, hier ein wenig «verirrt». Ihre Platzierung macht ihre Dysfunktionalität offensichtlich: sie stehen einen halben Meter von der Wand weg und ihre Höhe überragt das Gesims um etwa eine Unterarmlänge, reicht aber nicht bis zur Decke. Die Art und Weise, wie sie das Gesims berühren, erzeugt keine Verankerung, keine mechanische Verzahnung, keine Übertragung von Last.

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All diese Fragen und Erwartungen, die mit architektonischen oder infrastrukturellen Elementen verbunden sind, tauchen auf, werden aber nicht eingelöst. Was mich interessiert, ist, was dann geschieht. Die Säulen machen etwas mit dem Raum, mit unserer Wahrnehmung des Raumes. So wie andere Säulen im Übrigen auch – über ihre stützende Funktion hinaus.

Und was machen die Säulen mit dem Raum?

Durch die räumliche Überlappung mit dem Gesims, das den Raum als durchgehendes Band umfasst, erzeugen die Säulen einen optischen Schnitt in der dominierenden Horizontale. Im Grunde sind es im Volumen ziemlich feine Elemente, aber diese Unterbrechung ist markant. Die Säulen werden zu einer Art Zeigern, die den Blick auf die Höhe des Raumes, auf das Gesims und seine spezifische Räumlichkeit lenken, aber auch die Autorität der Architektur ansprechen. Sie lassen sich vielleicht als Prothesen, Modelle, als materiell-geometrische Zeichen für das Gebaute oder für den Raum als Bedingung und Begrenzung lesen. Oder – in dem Moment, wo eine klare Bestimmung scheitert – einfach als gebaute Körper, in denen und durch die sich Beziehungen zwischen Technischem und Taktilem, Stütze und Ornament, Eigentlichem und Anderem entwickeln. Es sind Körper, die nicht einfach sich selbst zeigen. Diese Verschiebungen des Blicks, des Rahmens, eine Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit unterschiedlicher Massstäblichkeiten im Verschränken von gebautem Raum, der schon da ist, und skulpturalen Elementen, die ich einfüge, suche ich in meiner Arbeit immer wieder.

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Wenngleich die Säulen als Säulen im Raum fremd sind, wenden sie sich als gebaute Körper vollständig diesem Raum zu, den Bedingungen dieses Raumes. Sogar in ihrem leicht beigen Farbton werden sie dem Gesims frappant ähnlich, was allerdings nicht so genau vorhersehbar war. Jedenfalls scheinen die beiden auf eine selbstverständliche, wenn auch nicht logische Weise vorübergehend zusammenzugehören.

Die Arbeit beinhaltet sowohl etwas Geometrisches und Rationales als auch etwas Organisches, etwas Haptisches und eine affektive Ebene. Du sprichst von «tangentialen Berührungen» zwischen Sims und Säule. Wie gehst du mit diesen beiden Auffassungen um und inwiefern verschmelzen diese in deinen Skulpturen?

Geometrisch betrachtet entspricht die Gesimskante einer Tangente, die einen Kreis, den Querschnitt des Säulenschaftes, berührt. Die spezifische Räumlichkeit dieser Berührung ist entscheidend. Sie evoziert keine dauerhafte Verbindung, sondern erzeugt ein Spannungsmoment, ein Überspringen von einem Körper zum anderen.

Die ganze Säule hat eine einfache, geometrisch klare Form, die eines schmalen hohen Zylinders, der in den untersten zweieinhalb Zentimetern konisch verjüngt ist. Sie ist aus mehreren Teilzylindern zusammengesetzt. Zuunterst steht ein kürzeres Sockelstück mit dem verjüngten Fuss, zuoberst ein ganz kurzes Kopfstück, dazwischen sechs gleich lange Mantelstücke. Da, wo diese Säulentrommeln aufeinanderstossen, sind feine Spalten zu erkennen. Das Sockelstück und das Kopfstück sind durch eine etwas grössere Schattenfuge von den anderen Trommeln abgesetzt. Damit erhält die Säule oben und unten einen definierten Abschluss, sie wird als vollständiger Formkörper gefasst. Der verjüngte Fuss bildet die Anschlussstelle zum Boden, verhält sich formal aber gegenteilig zu einer klassischen, verbreiterten Säulenbasis. Ich wollte im Fuss nicht den Eindruck einer Verankerung im Boden vermitteln, sondern eher eine optische Absetzung zum Boden erzeugen, was durch den Schatten geschieht.

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Diese formalen Entscheidungen greifen Elemente aus architektonischen Ordnungen auf, ohne sich aber an einer bestimmten Referenz zu orientieren. Ich habe damit relativ frei gespielt und dabei praktische Fragen miteinbezogen. So war aus produktionstechnischen Gründen eine Unterteilung der Säule und ihr Zusammenbau aus Teilstücken notwendig. Zugleich erinnert die vertikale Etappierung an die aus Fassadenordnungen vertraute Gliederung, die den Blick beim vertikalen Lesen schrittweise begleitet – quasi nach oben klettern lässt. So, wie dies auch das Gesims in der Wand tut.

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In den Säulenoberflächen verbinden sich die konstruktiv bedingten und auf eine Ordnung verweisenden Zeichen, die Stösse und Fugen als zeichnerische Elemente mit einer feinen Textur, die an etwas Hautartiges erinnert, sowie reliefartigen Inschriften, die über die Höhe der Säulen verteilt auftauchen. Die organisch anmutende Textur ist erst aus der Nähe zu erkennen und kontrastiert mit der formalen Präzision und Schlichtheit der Säulen. Sie verleiht der Oberfläche eine haptische Qualität und ein Eigenleben, variiert in Dichte und Intensität, enthält stellenweise Flecken oder vereinzelte Wischspuren. Hier kommt eine andere Ebene der Berührung mit hinein, nicht nur über die Assoziation zur Haut, sondern auch über den Abdruck, die physische Spur einer Materialberührung, die sich in die Oberfläche einschreibt.

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In der Produktionsplanung ist viel Zahlenschieberei drin, Planzeichnungen, Volumenberechnungen, Viertelmillimeter im Schalungsbau. Gleichzeitig habe ich mit Ton und Gips gearbeitet, mit Materialien, deren Konsistenz sich verändert, die beim Guss in der Schalung aufeinandertreffen und sich dabei ein Stück weit meiner Kontrolle entziehen. Im Grunde ist die Oberfläche des Gussstücks die exakte geometrische Umkehrung der Schalungsinnenseite, aber dieser neue Körper, der dabei innerhalb einer Stütze, in der Berührung mit ihrer Haut, entsteht, entzieht sich trotzdem einem rein rationalen Denken. Das Gussstück ist etwas, was vorher nicht da war, und man kann es sich vorher in seiner physischen Präsenz nicht vollständig vorstellen.

Der Prozess – so meintest du – war ein intuitives Zusammenspiel. Wie kam es von der Inspiration zur Präsentation im Oberlichtsaal?

Intuition trägt den Werkprozess wohl immer auch mit, spielt aber zusammen mit einem wiederholten konzeptuellen Befragen von Vorstellungen, ihrer Überprüfung und Verfeinerung in Modellen, oder einer Suche nach Antworten auf formale Fragen in einer engen Verschränkung von inhaltlichen Überlegungen, kompositorischen Betrachtungen und produktionstechnischen Kriterien. Ich habe Modelle für die Proportionen der Säulenteile gebaut, Kompositionsschemata und Schalungspläne gezeichnet, haufenweise Materialmuster gemacht, und parallel dazu über das Schreiben, über eine sprachliche Formulierung, versucht, herauszuschälen, was der Kern ist, an dem ich Entscheidungen spiegeln kann. Diese unterschiedlichen Denkweisen laufen ineinander. Beobachtungen, die man macht, wenn bei einem Versuch etwas aus dem Material heraus passiert, und die Bedeutung, die dieses physische, visuelle Ereignis im Nachdenken darüber erlangt, werfen inhaltliche Fragen auf. In dieser Verflechtung liegt für mich auch das Potenzial, wenn ich Arbeiten vollständig selber produziere.

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Wenn ich Objekte giesse, bin ich daran interessiert, ein spezifisches Vorgehen so zu konzipieren, dass die Gusskörper bleiben, wie sie aus der Gussform kommen, und nicht nachträglich weiterbearbeitet werden. Ich mag den Gedanken, dass etwas ab einem bestimmten Moment ein Eigenleben entwickelt. Oder dass dieser Moment der Berührung zwischen Gussform und fliessendem Material etwas Einmaliges hat. Umgekehrt bedeutet das aber, dass alles, was nachher da sein soll, vor dem Giessen in der Gussform mit angelegt sein muss, manches mehr, manches weniger kontrolliert. Ich entwickle ein Setting, in dem sich etwas ereignet. Das ist auch eine Haltung in Bezug auf das Produzieren und meine Beziehung zum Material.

Die Schalung ist Stütze zum Gusskörper, und sie erscheint in einer räumlichen Umkehrung im Gusskörper. Ihre Spur wird zum Ornament. Der Gusskörper trägt als Erinnerung den anderen, abwesenden Körper mit sich. Motive, die im Nachdenken über die Architektur eine Rolle spielen, tauchen im Produktionsverfahren wieder auf. Beim Anfertigen von Testgüssen stellte ich fest, dass die Folie, die als Schalungseinlage in die rohrartige Stützschalung gespannt wurde, im Gussstück eine klar sichtbare Naht erzeugt – da wo sie im Zylinder längs zusammenstösst. Vermeiden liess sich die Naht nicht, Retuschieren war nicht möglich und interessierte mich auch nicht. Die Naht lässt sich kaschieren, indem ich sie zu einer Fuge erweitere, die als gesetztes Gestaltungselement erscheint. So weist die eine Säule nun eine etwas breitere vertikale Fuge in jeder Säulentrommel auf, die zweite Säule eine deutlich schmalere Fuge und die dritte keine Fuge, sondern nur die Naht. Betrachtet man die drei Säulen in dieser Abfolge, so schliesst sich die hautähnliche Textur schrittweise wie ein Mantel um den Zylinder, bis sie sich selbst berührt. Aus einer Frage im Schalungsbau wird ein konzeptuelles und ästhetisches Element, das die Anzahl der drei Säulen für eine Bewegung nutzt und wieder mit dem Motiv der Berührung spielt. Das Kaschieren der Naht nimmt wiederum Bezug auf meine anfänglichen Überlegungen zum Gesims, das die Statik hinter dem Ornament versteckt.

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Es ist auch nicht dasselbe, nachträglich einen Text in einen Körper zu gravieren oder diesen gleichzeitig mit dem Säulenkörper zu giessen. Auf einer Materialebene sind die Textelemente mit der flächendeckenden Textur der Säulenoberfläche verbunden. Beide sind durch einen je unterschiedlichen Auftrag von flüssigem Ton auf der immer wieder neu präparierten Schalungseinlage erzeugt. Der Abdruck dieses dünnen Materialauftrags, zusammen mit davon hängen gebliebenen Partikeln, bildet die Mikroräumlichkeit der Säulenoberflächen. Die Textelemente sind jedoch klar in Schriftzeichen gesetzt, die sich von der organischen Struktur der restlichen Oberfläche abheben und, nur aus horizontalen und vertikalen Strichen bestehend, formal an die Schriften in Digitalanzeigen erinnern – oder in ihrer reliefhaften Materialisierung auch an die Struktur von alten Keilschriften. Grundsätzlich ging es mir darum, den Text als Teil einer Konstruktion zu verstehen, als Teil all der Faktoren, die ich in der Konzeption der Arbeit zusammenführe, die an der räumlichen Formulierung der Arbeit mit beteiligt sind. Der Text ist keine nachträgliche Ergänzung, sondern konzeptuelle Stütze für die skulpturalen Körper.

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Sprache ist ein weiterer wichtiger Bestandteil deiner Arbeit. Inwiefern fliesst das Schreiben in den Prozess und deine Arbeit ein? Und wie sind die Titel der einzelnen Skulpturen zu verstehen?

Während der Entwicklung einer Arbeit ist das Schreiben eine Art Werkzeug, das ein Koordinatennetz oder einen Filter produziert, manchmal auch ganz konkrete Formulierungen und Begriffe, die als räumliche Modelle oder Konzepte funktionieren. Dieser Prozess des Schreibens läuft nicht sehr kanalisiert. Es ist eine Tätigkeit, die begriffliches Material hervorbringt – manches bleibt hängen, anderes geht verloren. Manche Elemente tauchen immer wieder auf. So entsteht ein sprachliches Feld als Unterlage, Spiegel oder erweiterter Horizont zu räumlich-architektonischen Vorstellungen. Es gibt aber keine klare zeitliche Trennung zwischen Sprachlichem und Physischem.

Der Gedanke, diesem sprachlichen Raum als Erweiterung zum architektonischen Zusammenhang in den Säulenkörpern selbst eine Sichtbarkeit zu geben, war ziemlich früh da. Seit einer Weile beschäftige ich mich mit Möglichkeiten, sprachliche Konzepte in Form von Zeichen direkt mit Materialkörpern zusammenzuführen, sie auf einer skulpturalen Ebene ineinander zu schneiden. Der Materialkörper wird dem sprachlichen Zugriff und die Sprache der physischen Präsenz ausgesetzt. Im Miteinander-Konkretisieren von Begrifflichem und Physischem entstehen Beziehungen, die weder zufällig noch eindeutig sind. Unterschiedliche Zeichen verbinden sich im selben Körper, die sich nicht direkt ineinander übersetzen lassen und unterschiedliche Formen des Lesens und Decodierens einfordern.

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Die Titel der drei Säulen entsprechen dem Text, der auf der jeweiligen Säule als Inschrift zu finden und in einzelnen Worten von oben nach unten über die Säulentrommeln verteilt ist. Manche Worte befinden sich so weit oben, dass sie von unten her nicht lesbar sind. Als fragmentarische Komposition von Worten werden die Texte durch das Zusammenfügen der Säulenteile zusammengehalten. In ihrer Konstellation eröffnen sie einen Bedeutungsraum, der aber nicht als Botschaft formuliert ist. Damit korreliert auch die Positionierung der Inschriften – sie orientiert sich an den Säulen, nicht an einer Leserin.

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Grundlage für die Wortkompositionen waren gefilterte und neu zusammengestellte Motive aus dem Prozess der Werkentwicklung, wobei neben dem Inhaltlichen auch die poetische Form eine Rolle spielte. Ein Rhythmus im Lesen, Wiederholungen und Auslassungen, drei Texte, die je eigenständig sind, aber miteinander zu tun haben.

Der Materialkörper wird Träger eines weiteren Bedeutungsraums, wie wir das auch sonst von Inschriften an Baukörpern kennen. Und dieser Bedeutungsraum wiederum ist durch unsere physische Erfahrung geformt. Die Säule ermöglicht es dem Text, in den Raum zu treten, in einer Materialisierung, die eine Reibung, eine Annäherung, aber keine Identität zwischen dem Begrifflichen und dem Physischen erzeugt.

Miriam Sturzenegger

Miriam Sturzenegger

Visualisierungen und Fotos: Miriam Sturzenegger

Interview vom 2. März 2022: Lorenz Wiederkehr, Kunstmuseum St.Gallen und Gloria Weiss, Kunstmuseum und Kunstverein St.Gallen

Zur Website von Miriam Sturzenegger
Zur Website der Ausstellung Heimspiel 2021 im Kunstmuseum St.Gallen

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