414 Helvetia Erweiterung Westflügel, Herzog & de Meuron, 2017
Über die ganze Stadt verteilt finden sich Architekturprojekte mit Farbkonzepten von Adrian Schiess. Der Schweizer Künstler hat diverse Arbeiten mit namhaften Architektinnen und Architekten realisiert. Seine farbigen Flächen sind zum Beispiel in Bauten von Herzog & de Meuron, Gigon/Guyer oder Foster + Partners zu finden. Vielleicht ohne es zu merken, begegnet die St. Galler Bevölkerung etwa im öffentlichen Amtsgebäude meterhohen Wandmalereien. Diese Farbflächen in Gebäuden der Stadt standen im Zentrum der Exkursion des Kunstvereins St.Gallen am 10. und 19. September 2020. An zwei Daten nahmen circa 30 neugierige Kunstinteressierte teil.
Malerei 1980–2020 im Kunstmuseum St.Gallen
Die Exkursion begann mit der Ausstellung im Kunstmuseum, welche 40 Jahre Malerei von Adrian Schiess umfasste, von den 1980er Jahren bis heute. Nur vier der insgesamt sieben Räume der Präsentation im Obergeschoss jedoch konnten betreten werden. Der Grund: die von Schiess gestalteten und flächendeckend auf dem Boden ausgelegten Farbplatten. Sie treten in einen Dialog mit ihrer unmittelbaren Umgebung und schärfen unsere Wahrnehmung – je nach Blickwinkel und Lichteinfall verändert sich der Farbton.
Die Gruppe ging, nach der Einführung zur Biografie des Künstlers und seinem Schaffen, selbstständig durch die Ausstellung. Im Foyer begegnete sie einer bunten Komposition der frühen Arbeiten von Schiess – im letzten Raum wiederum fast farblos scheinenden Platten. Der Rundgang weckte das Interesse am Vorgehen des Künstlers. Schiess lässt, nachdem er die Farbe und Plattengrösse bestimmt hat, seine flachen Arbeiten industriell bemalen. Somit übernehmen Fachleute das Aufspritzen der Lackfarbe. Dieser Prozess zuzüglich des seriellen Aspekts, der sich durch sein Schaffen zieht, verweist kunsthistorisch betrachtet in den Bereich der Minimal Art, der Umgang mit Farbe in denjenigen der Monochromen Malerei. Nach einer kurzen Erfrischung im Museumscafé machte sich die Gruppe auf zur zweiten Station der Exkursion: den Wandmalereien für das Amtshaus St.Gallen.
Wandmalerei für das Amtshaus St.Gallen
Adrian Schiess wurde 2009 für die Neugestaltung des Farbkonzepts der Korridore und Treppenhäuser im Amtshaus beigezogen. Die Vorgabe war, dass die Wandbemalungen der Orientierung dienen und möglichst einladend wirken sollten. Schiess beachtete in seinem Konzept ausserdem die ursprüngliche Bemalung der historischen Bausubstanz. Er plante seine Farbinterventionen so, dass sie mit der bestehenden Situation zusammenwirken.
Wer heute das Verwaltungsgebäude betritt, sieht leuchtend grüne und rosa Farbflächen an den Treppenhauswänden. Schiess’ Farbgebung wird durch die Leuchten von Charles Keller Design unterstützt. Am schönsten kann sich die Farbe im Raum jedoch bei Tageslicht entfalten.
Adrian Schiess, Wandmalerei für das Amtshaus, 2008 im Amtshaus St.Gallen
Pflegeheim Heiligkreuz (Allemann Bauer Eigenmann Architekten AG)
Mit dem Bus fuhr die Gruppe anschliessend vom Marktplatz Bohl zum Pflegeheim Heiligkreuz in den Osten der Stadt. Das in den 1960er Jahren errichtete Gebäude wich 2018 einem Neubau mit imposantem Lichthof. Dieser durchflutet das gesamte Pflegeheim mit Tageslicht. Alle Etagen verfügen über Fenster, die zum Lichthof gerichtet sind.
Für die Innenraumgestaltung konnten Silvie Defraoui und Adrian Schiess gewonnen werden. Silvie Defraoui hat eine Wandmalerei mit den Buchstaben des Wortes ZEIT realisiert, die sich im Lichthof über mehrere Etagen erstreckt. Das Kunstwerk konnte im berühmten Yves-Klein-Blau realisiert werden. Ausserdem befinden sich in den unteren Etagen zwei Neon-Schriftzüge von Defraoui mit den Begriffen Echo und Wunschtraum.
Pflegeheim Heiligkreuz, Allemann Bauer, Eigenmann Architekten AG, 2018
In den einzelnen Stockwerken wiederum sind Dämmmaterial und verputzte Flächen in einer reduzierten Palette kräftiger Farben nach einem Konzept von Adrian Schiess gestaltet – die Farbverteilung variiert von Stockwerk zu Stockwerk. Die Farbpalette reicht von Goldgelb, einem kühleren Gelb, Rosa und Yves-Klein-Blau bis hin zu Resedagrün. Die Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegeheims können sich anhand der Farben an den Wänden orientieren und wissen so, in welchem Stockwerk sie sich befinden.
Ist der eigene Standpunkt in einem der oberen Geschosse – mit Blickrichtung in den Lichthof – wird die gesamte Innengestaltung erlebbar. Die Exkursionsteilnehmerinnen und -teilnehmer waren beim Rundgang beeindruckt, wie die Farben im Raum ihre Wirkung entfalten.
Pflegeheim Heiligkreuz, Allemann Bauer, Eigenmann Architekten AG, 2018
414 Helvetia Erweiterung Westflügel (Herzog & de Meuron)
Den krönenden Abschluss der Exkursion bildete die Besichtigung des Westflügels der Helvetia Versicherungen an der Dufourstrasse. Das Treppenhaus, den Lift und die Mensa des von Herzog & de Meuron entworfenen Gebäudes füllte Schiess mit leuchtend glänzenden Farben. Der Glanzlack ist direkt auf den Beton gesprüht, was die Textur des Materials sichtbar macht.
414 Helvetia Erweiterung Westflügel, Herzog & de Meuron, 2017
Im vierten Stockwerk dominiert ein Türkis, das im dritten Stockwerk, zusammen mit der Farbe Rot, auf ein Violett trifft. Kräftiges Rot und Blau dominieren die zweite Etage. Die knalligen Farben scheinen unwirklich und fast träumerisch. Die Assoziation mit einer Unterwasserwelt ist naheliegend. Dieser Eindruck wird durch die von Herzog & de Meuron entworfenen Deckenleuchten verstärkt. Diese schlängeln sich wie Gewächse den Wänden und Decken entlang und verleihen den Räumen eine nahezu organische Wirkung.
414 Helvetia Erweiterung Westflügel, Herzog & de Meuron, 2017
Zudem erinnern die gewählten Farben im gesamten Treppenhaus an das Firmenlogo der Helvetia – ein Dreieck mit violetten, roten und türkisen Flanken. Im Untergrund setzt sich die Deckenmalerei weiter fort in Richtung Cafeteria. Dank der grossen Fläche wirkt der wolkenartige Farbauftrag besonders prägnant. An die Decke der Cafeteria wurde der Verlauf zweier Farben gesprüht, Dunkelgrün und Rosa. Der Lackierer Rolf Pfenninger, der schon viele Jahre mit Schiess zusammenarbeitet, hat die Sprüharbeiten zusammen mit der Malerfirma Heinrich Schmid übernommen.
414 Helvetia Erweiterung Westflügel, Herzog & de Meuron, 2017
Exkursion des Kunstvereins St.Gallen
Die Wandmalereien von Adrian Schiess in der Stadt St.Gallen waren für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Exkursion des Kunstvereins eine Entdeckung. Der Rundgang vermochte eine neue Wahrnehmung der eigenen Umgebung zu eröffnen.
Weitere Informationen zu den Exkursionen des Kunstvereins gibt es auf dieser Website unter «unterwegs» oder über den Newsletter. Melden Sie sich hier für den Newsletter an.
Text: Sabrina Thöny, Kunstvermittlerin Kunstmuseum St.Gallen
Exkursionsleitung: Sabrina Thöny und Daniela Mittelholzer, Kunstvermittlerinnen Kunstmuseum St.Gallen
Fotos: Sabrina Thöny, Gloria Weiss