Interview
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Wir haben den Künstler Andy Guhl (*1952 Steckborn), einen der Beteiligten des Projekts Kunst macht Schule, in seinem St.Galler Atelier besucht.

Acht Schulklassen, acht Kunstwerke, acht Kunstschaffende, eine Ausstellung… Zwischen August und Dezember 2020 besuchen acht Schulklassen aus den Kantonen St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden das Kunstmuseum St.Gallen und lernen dort ein Werk aus der Sammlung kennen. Zurück im Schulzimmer reagieren die Schülerinnen und Schüler unter Anleitung von Kunstschaffenden auf das Original und gestalteten eigene Werke. Als krönender Abschluss des Projekts entsteht eine einzigartige Ausstellung im Kirchhoferhaus. Im März 2021 werden dort die Schülerarbeiten den Originalen aus der Sammlung gegenübergestellt.

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«Hardware-Hacker» Andy Guhl in seinem Atelier

Guhls Hauptinstrument ist die Elektronik; «Erweiterte geknackte Alltagselektronik», Transformationen von uns umgebenden Elementen, unter Verwendung im speziellen Magnet- und Lichtwellen sowie deren Rückkoppelungen. Im elektronischen Universum des Künstlers zeigt er uns seine aktuellen Projekte sowie seine Sammlung an Trouvaillen und Geräten. Guhl weiss von jedem Gegenstand bestens Bescheid, wo er diesen gekauft oder erhalten hat, kann bei jedem Gerät über dessen Zweck und Geschichte Auskunft geben. Einige hat er bereits in seine Einzelteile zerlegt und auf deren mögliche Farb- und Klangwelten inspiziert. Vor dem grossen Plasma-Fernseher hat Guhl eine «Mini-Arena», wie er sie nennt, aufgebaut – ein Überbleibsel der letzten Veranstaltungen Kunst macht Schule mit Kindern aus der sechsten Klasse.

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Woher kommt deine Faszination für das Elektronische, was inspiriert dich daran?

Andy Guhl: Es begann mit Versuchen mit Gleichstrom und Drahtspulen. Daraus ergibt sich ein Magnetfeld, dass zum Beispiel Metall «haften» lässt. Mit diesen Elementen spielte ich bereits als Kind – und auch heute finde ich es immer noch spannend, in dem Bereich unterwegs zu sein und mit Schwachstrom Ton und Bild zu entwickeln und miteinander zu verbinden.

In deinem Atelier befindet sich eine wunderbare Sammlung an Alltagsgeräten, aber auch elektronischen Kuriositäten – wie wirst du auf Objekte aufmerksam und woher weisst du, dass sie für deine Projekte dienlich sein können

AG: Aus verschiedener Fachliteratur erforsche ich die Bedeutung technischer Elemente für unsere Gesellschaft in Bezug auf die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Das alles fasziniert mich und bildet eine Inspirationsquelle für meine künstlerischen Arbeiten. Zudem entwickeln sich aus dieser Faszination verschiedene Kollaborationen mit Kunstschaffenden und Workshopteilnehmerinnen und -teilnehmer. Ein gutes Beispiel in diesem Zusammenhang ist das Projekt Kunst macht Schule.

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An welchen Projekten arbeitest du gerade?

AG: In Bad Hemberg ist vom 5. bis 26. September 2020 die Gruppenausstellung Freie Republik Bad Hemberg in der Kunsthalle Toggenburg zu sehen. Meine dort ausgestellte Arbeit nenne ich Horizontal/Vertikal, für die Schnecken ideal frei zum freien Frass!. Die Arbeit besteht aus zwei grösseren kegelförmigen Blechskulpturen aus gebrauchten Schneckenzäunen. AUTO ex Nextex Visarte Ost hat mich und andere Künstlerinnen und Künstler eingeladen.

Dabei inszeniere ich den Aufzug eines abgebrochenen Brunnenteils einer Form einer Holzskulptur zum Brunnenstock. Diese Skulptur steht dann drei Wochen mit hängenden Stein im Brunnen. Zur Finissage der Ausstellung mauere ich das abgebrochene Teil wieder an seinen ursprünglichen Ort an.

In der Planung sind auch Konzerte mit Musikerinnen und Musikern, die hauptsächlich online stattfinden. Im Atelier entwickle ich zurzeit Skulpturen unter Verwendung verschiedenster elektronischer Teile. Diese transformiere ich mittels «Hacking- und Vernetzungs-Prozessen» zu neuen Bildern, Formen und Klängen.

Wie viele Schulklassen haben dein Atelier bisher besucht und wie kam es dazu?

AG: Erste Projekte fanden 2011 unter Artist@work statt. Eine Initiative, die damals von Madeleine Herzog von der Fachstelle Kultur der Stadt St.Gallen intiiert, finanziert und mit den Kunstvermittlerinnen Kaspar&Spillmann sowie später Claudia Hürlimann und Daniela Mittelholzer, Kunstvermittlerinnen des Kunstmuseums St.Gallen, umgesetzt wurde. Es handelte sich um Atelierbesuche bei fünf Künstlerinnen und Künstlern aus St.Gallen. Das Angebot bei mir war für Kindergarten bis Primarschulen der Stadt St.Gallen, gratis. Dieses Angebot wurde rege genutzt. Die Kunstvermittlerinnen besuchten zuerst die Kinder, informierten sie im Kindergarten oder ihren Klassen über die Kunstschaffenden und ihre Arbeit. Im Anschluss fand der Besuch im Atelier der Künstlerin oder des Künstlers satt. Insgesamt gab es Besuche von circa sechs Kindergartengruppen und circa 40 Unterstufenklassen. Die Schülerinnen und Schüler waren zwei Stunden vor Ort und der Austausch war immer sehr, sehr anregend für die Schülerinnen und Schüler, die Lehrpersonen und mich. Ab und zu erhielt ich auch «Fanpost» von den Kindern in Form von Briefen und Skizzen. Es war ein inspirierendes und tolles Projekt. Die Stadt hat nach etwa vier Jahren die Finanzierung leider beendet. Als Ersatz für das Projekt wird aktuell tatort unter KKLICK.CH für Schülerinnen und Schüler aus den Kantonen Appenzell Ausserrhoden, Glarus, St.Gallen und Thurgau angeboten.

Die Plattform ist sehr gut aufgebaut, aber bisher kam für mein Projekt leider keine Anfrage. Ich vermute, dass es an der Finanzierung durch die Schulen selbst sowie die wenigen Lektionen für den gestalterischen Unterricht liegen könnte, die Atelierprojekte umzusetzen.

Wie reagieren die Kinder auf deine Welt der Elektronik mit all ihren Klängen, Farben und Formen?

AG: Immer offen! Aber ab der dritten Klasse halten sich die Schülerinnen und Schüler bei hohen akustischen Frequenzen automatisch die Ohren zu, da sie diese anscheinend kaum aushalten können. Dieses Phänomen thematisiere ich jeweils auch und bespreche dies mit den Kindern. Tiefe Frequenzen hingegen führen nicht zu negativen Reaktionen – im Gegenteil, es wird dann schnell angefangen zu tanzen und bereitet Freude… Oft ist im Zusammenhang mit Elektronikgeräten die Rede von «Fehlern». «Etwas falsch machen» kann unter gewissen Voraussetzungen aber auch eben das «Richtige» sein und kann jeweils auch sehr inspirierend wirken. Mich interessieren beispielweise auch die Veränderungen durch das Drehen der Kameras oder den Einsatz von Spiegeln. Das sogenannte «Videohacking, „Videoglitching“ als Neubegriff, eröffnet eine schöpferische Art des Gestaltens, vor allem im Zusammenhang mit Verwandeln von Licht- und Tonwellen in Bild und Klang.

Einige Geräte sind älter als die Kinder selbst. Inwiefern ist der Zugang von Kindern und Erwachsenen zu den Objekten unterschiedlich?

AG: Jede Altersstufe reagiert auf die Geräte ihrer Generation besonders: Ältere Gäste reagieren im Atelier auf antike Telefon- oder Radioapparate, jüngere Gäste picken aus den vielen Geräten immer eines heraus, das ihnen aus ihrem persönlichen Kontext heraus bekannt ist.

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Haben diese Reaktionen auch einen Einfluss auf dich, auf deinen Zugang zur Elektronik oder deine Inspiration für neue Projekte?

AG: Ja, zum Beispiel beim letzten Besuch einer Schulklasse haben wir über hohe und tiefe Töne und Körperschwingungen auf der Haut gesprochen und dies auch ausgetestet – das war extrem spannend. Ich erklärte den Schülerinnen und Schülern, dass der menschliche Körper Schallschwingungen auch auf der Haut wahrnehmen kann.

Solche Erlebnisse sind für mich sehr anregend und inspirieren mich für neue Projekte.

Interview: Sophie Lichtenstern und Gloria Weiss, Kunstverein und Kunstmuseum St.Gallen
Website des Künstlers: andy.guhl.net
www.earlightseyesounds.ch

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