Performance
20211210 HEIMSPIEL PERFORMANCE 071

Juliette Uzor (*1992 St.Gallen, lebt in Zürich)
Beside You in Time, 2021
Dauer: ca. 1 Stunde (variabel)
Performance gemeinsam mit Elie Autin und Lucia Gugerli
Foto: Daniel Ammann

Während der Ausstellungseröffnung des Heimspiels 2021 fand unter dem Titel Beside You in Time eine Langzeitperformance – gemeinsam mit Elie Autin und Lucia Gugerli – im oberen Foyer des Kunstmuseums St.Gallen statt.

Im Interview erläutert die Künstlerin den Entwicklungsprozess der Performance Beside You in Time, die Bedeutung von Raum und Zeit. Zudem bespricht sie ihre Arbeiten, die im Rahmen des Heimspiels 2021 im Kunstmuseum St.Gallen wie auch in der Kunst Halle St.Gallen gezeigt wurden.

Wie hast du das Konzept der Langzeitperformance Beside You in Time entwickelt und wie gliedert sich dieses in deine künstlerische Arbeit ein?

Die Praxis der extrem langsamen Bewegung kenne ich von der Tänzerin Hisako Horikawa. In einem Workshop lernte ich ihre Techniken kennen und war fasziniert von den verschiedenen Zeitlichkeiten und Zuständen, die ich in meinem Körper durch das langsame Bewegen erlebte. Ich glaube, sie nannte es «Body Weather».

Ich arbeite oft mit unterschiedlichen Medien, meistens mit Bewegung. Mich interessieren die Positionierungen von Körpern im Raum und ihre dynamischen und ambivalenten Beziehungen zueinander. In der Performance möchte ich etwas Gemeinsames erleben, das nur durch die Präsenz von Betrachter*innen, Performer*innen und deren «Material» hergestellt werden kann.

20211210 HEIMSPIEL PERFORMANCE 022

Juliette Uzor, Beside You in Time, 2021, Performance gemeinsam mit Elie Autin und Lucia Gugerli, Foto: Daniel Ammann

Welches sind die wesentlichen Aspekte, die du formal und inhaltlich thematisieren möchtest?

Für Beside You in Time wollte ich ein Setting schaffen, in dem Menschen und Objekte zusammentreffen und miteinander in einer extremen Langsamkeit interagieren. Die Objekte, die ich ausgewählt habe, sind Dinge aus unserem täglichen Gebrauch, natürlich kulturell geprägt, und haben spezifische Funktionen: Ein Glas, ein Computer, Jonglierbälle, ein Stuhl… Dabei geht es weniger um die Gebrauchsweise des Objekts an sich, als um das Aktivieren verschiedener Formen und Materialien. Ich wollte diese Objekte um uns versammeln und mit der Potenzialität spielen, die eine Aktivierung oder Berührung hervorrufen kann. Mich interessierte dabei die Ambivalenz zwischen Planbarkeit eines Bewegungsablaufs und den unbekannten Faktoren, die auf dem Weg dorthin auftauchen. Mit unseren Bewegungen wollte ich auf potenzielle Handlungen und Gesten anspielen, die sich vielleicht erfüllen, gar verpassen oder aber eine andere Richtung einschlagen.

Dabei dachte ich auch an die Dynamik verschiedener Materialitäten innerhalb des Settings, die sich je nach Situation unterschiedlich verhalten. Zum Beispiel Speichel, der sich im Mund ansammelt, sobald ich mich entscheide, etwas zu essen, oder die Spannung eines Elasticbands, das losgelassen wird, oder die Geschwindigkeit von Wasser, das ausgeleert wird, oder das Tempo von Blut, das durch die Adern fliesst, oder Tränenflüssigkeit, die in die Augen tritt, wenn ich ins Licht schaue, oder die Geschwindigkeit eines galoppierenden Pferdes auf meinem iPhone-Bildschirm.

Durch ein simples Setting wollte ich komplexe Rhythmen und Dynamiken aufeinandertreffen lassen und Situationen schaffen, die sich durch die Zeit aufladen und entladen. Das Zusammenspiel all dieser mechanischen Faktoren wird sehr dramatisch. Unsere Bewegungs-Script war ausserdem auf die Musik abgestimmt, welche ebenfalls zur Stimmung dieses «Tableau vivant» beitrug.

20211210 HEIMSPIEL PERFORMANCE 038

Juliette Uzor, Beside You in Time, 2021, Performance gemeinsam mit Elie Autin und Lucia Gugerli, Foto: Daniel Ammann

Wie bereitest du dich konkret auf eine Performance vor und worauf achtest du im Vorfeld?

Ich brauche genügend Zeit, mit den Performer*innen zu proben, die Kostüme auszuwählen, den Raum einzurichten und den Tag der Performance zu planen. Wann machen wir Pausen, wann proben wir, wann und wo wärmen wir uns, gibt es davor oder danach etwas zu essen, wo können wir uns umziehen. Im Vorfeld denke ich oft an die Performance und versuche offen und aufmerksam zu sein für Situationen oder Dinge, denen ich begegne, die mich irritieren oder die mir gefallen. Daraus überlege ich mir dann ein Setting.

Für die Situationen hatte ich Bilder des Malers Balthus vor Augen. Balthus’ Bilder faszinieren mich, weil die Szenarien darin sehr starr wirken, obwohl alle Figuren oft in Bewegung sind. Balthus’ Bilder enthalten Geheimnisse und Andeutungen, deren Ausgang ich nur erahnen kann. Sie haben auch etwas Abgründiges.

Die Objekte, die Teil der Performance sind, sammle ich mit der Zeit. Entweder interessiert mich ein Objekt, anhand dessen ich mir eine Situation überlege, oder aber mir schwebt eine bestimmte Situation vor, für die ich dann das Objekt mit der passenden Funktion suche. Manche Dinge kommen auch einfach dazu und wir lassen uns während der Performance überraschen, was damit passieren wird. Und manche Dinge bleiben passiv, werden also gar nicht aktiviert, oder nur am Rande.

Mir fällt auf, dass die Performance sehr visuell geprägt ist, und dass alles sich durch die lange Dauer mit verschiedenen Bedeutungen aufladen kann. Ich möchte diese nicht zu stark kontrollieren, doch im Vorfeld muss ich mich immer fragen: Was könnte es bedeuten, wenn diese Musik, dieses Objekt oder dieser Körper auf jenen trifft? Welche Dinge möchte ich nicht explizit miteinander in Verbindung bringen und welche Berührungen zwischen welchen Dingen könnten aufregend sein? Vieles ergibt sich beim Proben. Weil die Bewegungen so langsam sind, habe ich quasi ewig Zeit, eine Entscheidung zu treffen und die Situation vor meinem inneren Auge zu visualisieren. «Auf dem Weg» kann immer etwas passieren, dass meine Bewegung in eine andere Richtung lenkt.

20211210 HEIMSPIEL PERFORMANCE 033

Juliette Uzor, Beside You in Time, 2021, Performance gemeinsam mit Elie Autin und Lucia Gugerli, Foto: Daniel Ammann

Die Performance fand im Obergeschoss des Foyers im Kunstmuseum St.Gallen statt. Inwiefern ist der Ort, an dem eine Performance stattfindet, für dich von Bedeutung? Gibt es Referenzen zu den räumlichen Begebenheiten des Kunstmuseums?

Ich mag es, neben der klassischen Theaterbühne auch andere Räumlichkeiten zu bespielen, auch Aussenräume. Die Kuratorin Nadia Veronese hatte mir für die Performance das Foyer im Obergeschoss vorgeschlagen. Mir gefiel, dass das Foyer sozusagen die Schwelle zur Ausstellung war, und ich fühlte mich durch diesen Vorschlag sehr geehrt. Am liebsten wollte ich das Fenster öffnen, damit es vielleicht hereinschneien würde, aber das war leider nicht möglich. Durch Performance kann ich mich auf Räume neu einlassen und diese transformieren.

Das Planen der Vernissage für das Heimspiel war eine Herausforderung, weil ich nicht wirklich einschätzen konnte, wie viele Leute kommen und wie/ob sie sich durch den Raum bewegen würden. Ich konnte nur spekulieren, ob die Leute fünf Minuten oder eine Stunde zuschauen würden. Die COVID-19-Pandemie machte es nicht einfacher. Ich musste mir ausserdem überlegen, wie ich mit den anderen Kunstwerken im Raum umgehen wollte. Das Foyer des Kunstmuseums ist ein Raum voller Informationen. Er strahlt etwas sehr Historisches aus, das für mich gut zu Beside You in time passte. Ich hoffe, dass sich der Fokus der Zuschauer*innen durch das langsame Bewegen auf Details legen konnte, die sie sonst vielleicht nicht wahrgenommen hätten.

20211210 HEIMSPIEL PERFORMANCE 040

Juliette Uzor, Beside You in Time, 2021, Performance gemeinsam mit Elie Autin und Lucia Gugerli, Foto: Daniel Ammann

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Elie Autin und Lucia Gugerli?

Mit Lucia teile ich mir ein Studio, sie ist eine Freundin und eine super Tänzerin. Ich hoffe sehr, auch in Zukunft mit Lucia arbeiten zu können. Elie kenne ich aus meinem Tanzstudium in Lausanne. Wir haben schon oft zusammengearbeitet. Ich schätze es sehr, mit Elie zu performen, weil sie nie etwas forcieren und ihre Bewegungssprachen sehr klar sind.

20211210 HEIMSPIEL PERFORMANCE 088

Juliette Uzor, Beside You in Time, 2021, Performance gemeinsam mit Elie Autin und Lucia Gugerli, Foto: Daniel Ammann

Im Rahmen des Heimspiels 2021 wird dein Schaffen sowohl im Kunstmuseum St.Gallen als auch in der Kunst Halle Sankt Gallen gezeigt. Inwiefern unterscheiden sich die Arbeiten an diesen beiden Ausstellungsorten?

Beside You in time ist eine ephemere Performance, von der Spuren (in den Körpern) und Erinnerungen übrigbleiben. In der Kunst Halle konnte ich die installative Arbeit Rachel, Judith, Pallas, Argine zeigen. Dies war ein Experiment, weil ich in den letzten vier oder fünf Jahren hauptsächlich mit Bewegung gearbeitet habe.

Für mich sind die acht Porträts stille Präsenzen. Die Bildtafeln aus Aluminium sind während der Pandemie entstanden und beinhalten ebenfalls sehr viel Zeit, es war ein viel längerer und vielleicht langsamerer Prozess als Beside You in time. Mit den Gesichtern konnte ich mich beim Zeichnen lange auseinandersetzen und es faszinierte mich, wie viel ich in die Königinnen hineinprojizieren konnte. Ich versuchte, ihren Ausdruck zu lesen und er kam mir zuerst grausam und leer, dann wieder milde und gütig vor. Ich wollte diese bekannten Gesichter der Spielkarten verdoppeln und zueinander ausrichten, damit im Raum eine Art stiller Dialog stattfinden konnte, in dem ich auch als Betrachterin involviert bin. Die Arbeiten in den zwei Museen unterscheiden sich, weil ich bei Rachel, Pallas, Judith und Argine alle Entscheidungen im Vorfeld treffen musste. In der Performance entscheide und erlebe ich im Moment. Bei beiden arbeite ich aber mit der Stimmung im Raum.

Zudem zeigte ich in der Kunsthalle zusammen mit Elie eine weitere 15-minütige Performance mit dem Titel How can I call what is between us. Es ist eine Arbeit, die wir 2018 entwickelt haben, zu Ravels Bolero. Die Performance folgt einer kontinuierlichen Hüftbewegung, die im On- und Off-Rhythmus verläuft, und einem improvisierten Bewegungsablauf der Arme, die wir voreinander aus dem Augenwinkel sehen und gegenseitig abstimmen. Wie Beside You in time braucht diese Performance sehr viel Konzentration, um auf verschiedenen parallelen Ebenen zu funktionieren. Mir ist aber aufgefallen, dass der Titel How can I call what is between us auch etwas mit Rachel, Judith, Pallas, Argine zu tun hat. In allen drei Arbeiten geht es um Beziehungen zwischen Körpern. Es geht um ihr Zusammenspiel und um Momente, in denen sie sich verpassen, weil sie ihre eigenen Realitäten haben.

20211210 HEIMSPIEL PERFORMANCE 102

Juliette Uzor, Beside You in Time, 2021, Performance gemeinsam mit Elie Autin und Lucia Gugerli, Foto: Daniel Ammann

Interview vom 24. Februar 2022: Gloria Weiss, Kunstverein und Kunstmuseum St.Gallen und Lorenz Wiederkehr, Kunstmuseum St.Gallen

Datenschutz: Lesen